Tödliche Schüsse: Rappen gegen die Polizei
Bei einem Erinnerungskonzert für den Ganoven Dennis J. beschimpfen Musiker, Neuköllner und Autonome Polizisten. Eine Sprache suchen sie noch
"No justice, no peace" steht auf dem Transparent. Es hängt an der Bühne, von der aus der 29-jährige Gebäudereiniger Kemal K. zu der Menge auf dem Reuterplatz in Neukölln spricht. Rund 300 Leute haben sich am Samstagabend versammelt. Es ist dunkel, die dominierende Bekleidungsfarbe ist schwarz. Nicht nur Autonome sind gekommen, auch ganz normale Anwohner aus Neukölln. Die meisten haben einen arabischen oder türkischen Migrationshintergrund.
Auch der Redner auf der Bühne ist gebürtiger Türke. Er ist mit einer Deutschen - es ist die Schwester von Dennis J. - verheiratet. "Ich bin der Schwager des ermordeten Dennis", stellt sich Kemal K. vor. Dann berichtet er , wie der 26-jährige Dennis J. am Silvesterabend 2008 in dem brandenburgischen Ort Schönfließ von einem Berliner Polizisten erschossen wurde. Dass der ein ganzes Magazin auf Dennis abgefeuert habe. Dass es keine Notwehr war, der Polizist im Sommer 2010 aber nur zwei Jahre auf Bewährung bekommen habe. "Mörder, Mörder", rufen die Autonomen im Publikum, "Hurensohn, Hurensohn", die Migranten. Neben politischen Redebeiträgen von Stadtteilgruppen und Antifas, von denen einer mit "Hoch die Internationale" endet, treten Hiphopper auf.
Es ist nicht das erste Mal, dass Autonome und Neuköllner Anwohner auf einer Veranstaltung sind. Der Getötete war ein unpolitischer Kleinganove. In Neukölln hatte er einen großen Bekanntenkreis, etliche seiner Freunde waren früher selbst kriminell. Sein Tod hat sie politisiert. Sie fordern Gerechtigkeit. Autonome Gruppen unterstützen sie dabei. Vor und nach dem Prozess gegen den Polizeischützen haben Linke und Neuköllner bereits gemeinsam demonstriert. In Dennis J.s Namen wurden die Scheiben zweier Banken eingeworfen.
Die Stimmung auf dem Reuterplatz ist aufgeheizt. Uniformierte Einsatzhundertschaften haben an den Kreuzungen Stellung bezogen. Einige Zuschauer sind betrunken, andere pöbeln Journalisten an. "Wir werden weiterkämpfen, bis wir Gerechtigkeit bekommen", ruft Kemal K. auf der Bühne ins Mikrofon. Dann bedankt er sich bei der Familie, bei Freunden und der "linken Bewegung". Applaus.
Danach kommt endlich der Weddinger Rapper Massiv, viele Jüngere sind nur seinetwegen gekommen. Der breitschultrige Musiker ist ihr Idol. Er enttäuscht sie nicht - und nimmt die Polizei ins Visier. "Wer gegen diese grünen Typen da hinten ist, soll den Finger heben", ruft er. Das Publikum reagiert erst beim zweiten Anlauf. Dann spielt Massiv zwei Lieder und beendet den Auftritt mit der Aufforderung an die Zuschauer, mit ihm zusammen "Fick die Polizei" zu rappen. Sie tuns - und der Musiker tritt ab.
Nach der Veranstaltung, gegen 21 Uhr, fackeln die Polizisten nicht lange. Die Scheinwerfer auf den Leuchtmasten gehen an, bevor sich eine Spontandemonstration formieren kann. Die Uniformierten rennen in die Masse, um sie zu zerstreuen. Es kommt zu Rempeleien, einige Flaschen fliegen. "Ganz Berlin hasst die Polizei", skandieren einige Jungs. Und: "Wir kriegen euch alle." Laut Polizei kommt es zu zwei Festnahmen wegen Beleidigung. Aber "wild prügelnde Cops", von denen das linke Szeneportal Indymedia berichtet, sind nicht zu entdecken.
Die politische Zusammenarbeit von Autonomen und Neuköllnern werde immer besser, so die Bilanz der Veranstalter. Aber es gibt auch Kritik. "Polizisten Hurensöhne zu nennen geht gar nicht", beklagt ein Autonomer Samstagnacht die mangelnde politische Korrektheit der neuen Mitstreiter. Die geben die Kritik zurück: "Für die Autonomen ist man schon ein Sexist, wenn man Ficken sagt", belustigt sich ein Neuköllner. Eigentlich hatten die Linken genau diese Debatte vermeiden wollen: Alle Rapper hatten sich vor ihrem Auftritt verpflichten müssen, auf sexistische Texte zu verzichten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid