: Tödliche Hetzjagd als schlichte „Verkehrssache“
■ Der Tod eines Türken auf der Autobahn war kein Unfall / Von Hooligans verfolgt
Neuss (taz) – Die Autobahn 57 war in der Nacht des 27.12.1992 kaum befahren. Der 20jährige Sahin Calisir steuerte seinen Fiat in ruhiger Fahrt auf der rechten Spur. Plötzlich kam von hinten ein Fahrzeug angerauscht. Selahatin Ö., der mit einem weiteren Freund zusammen mit im Auto saß, erinnert sich: „Der ist ganz dicht aufgefahren und hat mehrmals mit der Lichthupe geblinkt. Wir haben erst gedacht, daß unser Licht vielleicht nicht an ist, aber es war alles in Ordnung.“ Dann überholte der fremde Wagen, ein gelber Golf, den Fiat langsam und verschwand. Kurze Zeit später passierten die drei jungen Türken einen stillgelegten Autobahnparkplatz, auf dem der gelbe Golf parkte. Jetzt dauerte es wieder nur wenige Minuten und der Wagen war wieder hinter ihnen. Selahatin Ö.: „Wir haben Angst bekommen.“ Als der Golf pötzlich auf der linken Seite auftauchte „und mehrmals bis zum Gehtnichtmehr auf uns zugefahren ist, sind wir ein bißchen in Panik geraten.“ Plötzlich knallte es, der Fiat schleuderte und kam an der Leitplanke zum Stehen. Die drei Türken verließen in Panik ihr Fahrzeug. Während die beiden Mitinsassen über die Autobahnböschung flohen, rannte Fahrer Sahin Calisir auf die Fahrbahn direkt in ein nachfolgendes Fahrzeug und wurde getötet.
Seit Donnerstag steht der 23jährige Fahrer des gelben Golfs, der Solinger Klaus E., in Neuss wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht – vor einem Schöffengericht. Und genau dagegen wendet sich die Familie des Toten und deren Anwalt Wolfgang Schwab. Während der Verteidiger des Angeklagten E., Klaus Kirchner, den Fall als „reine Verkehrssache“ ohne jeden ausländerfeindlichen Hintergrund bezeichnet, sprechen die Angehörigen von Totschlag. Mit dieser juristischen Bewertung stehen sie nicht allein. Als der Neusser Amtsrichter Bott die Anklage gegen E. auf den Tisch bekam, reichte er sie sogleich weiter an das für Totschlag zuständige Landgericht. Die schriftliche Begründung des Richters: „Wer so fährt, handelt mit bedingtem Tötungsvorsatz“ – also Totschlag. Doch das Landgericht folgte Bott nicht.
So wird nun gegen Klaus E., der am Donnerstag mit Handschellen in den Gerichtssaal geführt wurde, nur noch wegen fahrlässiger Tötung verhandelt. Das Auto hatte sich der 23jährige, der keinen Führerschein besitzt, von seiner Freundin ohne deren Wissen besorgt. Das „Geschehen“ stellt er als eine Kette von Mißverständnissen dar. Es tue ihm „sehr leid“, sagt er am Ende seiner Ausführungen am Donnerstag – und dann: „Gegen Ausländer habe ich nichts.“ Das klingt wie einstudiert. In einem aus dem Knast abgefangenen Brief des Angeklagten ist denn auch von Mitleid nichts zu spüren. Über den getöteten Türken heißt es da: „Das mit dem Rumlaufen hat sich für ihn erledigt.“ Auch seine ehemalige Freundin malt ein anderes Bild: „Ich glaube, daß er Ausländern gegenüber nicht freundlich gesonnen war.“
Tatsache ist, daß E. seit Jahren als bekannter und mehrfach vorbestrafter Schläger in der Hooligan- Szene von Fortuna Düsseldorf mitmischt. Sein in der Tatnacht mitfahrender „guter Bekannter“ Lars S., der kurz nach der Tat im Beisein von Polizeibeamten den Angeklagten mehrmals aufgefordert hatte, „bloß den Mund zu halten“, gehört ebenso dazu. S. unterhält zudem enge Verbindungen zur rechtsradikalen Szene in Solingen und Umgebung. Zusammen mit weiteren bekannten Solinger Rechtsradikalen, die allesamt bei der inzwischen geschlossenen Kampfsportschule „Hak-Pao“ aktiv waren, bildete S. für die rechtsradikale „Deutsche Liga“ schon mal den „Saalschutz“. Immer, wenn der Anwalt der Nebenkläger sich diesem Hintergrund nähert, beanstandet Verteidiger Kirchner: „Wir rutschen auf die politische Ebene.“ Für die kommende Woche hat das Gericht S. als Zeugen geladen. Walter Jakobs
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