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Tödliche Fluchten mit Ballon von Ost nach West

■ DDR-Bürger stürzte bei seiner Flucht mit einem Heißluftballon nach West-Berlin tödlich ab / Sschicksal seiner Freundin unklar / Pink Floyd im Reisegepäck

Als ein selbstgebastelter Ballon gestern früh am Himmel über West-Berlin einschwebte und in Zehlendorf im Wipfel einer Eiche niederging, wußte noch niemand um das tragische Schicksal der Flugpassagiere: Ein Mann und vermutlich auch eine Frau hatten versucht, aus der DDR zu fliehen. Der Leichnam des 32jährigen DDR-Bürgers Winfried Freudenberg aus Lüttgenrode, Kreis Halberstabdt (DDR), wurde erst am Nachmittag in einem Garten der Limastraße gefunden. 500 Meter Luftlinie von der Eiche entfernt, in dem der Ballon hängengeblieben war. Das Schicksal der Frau, die vermutlich mitflog, war bei Redaktionsschluß noch unbekannt, ebenso die genauen Umstände der Flucht.

Anwohner hatten beobachtet, daß der Ballon aus südostlicher Richtung gekommen war, bevor er sich kurz vor acht Uhr morgens in dem dörren Geäst der Eichenbaumreihe auf der Mittelinsel der Potsdamer Chaussee nahe der Spanischen Allee verfing.

Der Ballon mit einer Spannbreite von über zehn Metern bestand laut Angaben einer Anwohnerin aus einer aus vielen Einzelstücken zusammengeklebten milchig-weißen Plastikplane, „wie man sie hier zum Renovieren benutzt“. Die an der Plane befestigten zahlreichen dünnen orangefarbenen Nylonfäden waren zu einer dicken Leine verknüpft, an der ein etwa sechs Kilo schwerer Sandsack und eine Tragevorrichtung hingen. In der Vorrichtung wurden eine braune Lederjacke und mehrere Plastiktüten mit Kleidung und persönlichen Gegenständen entdeckt: diverse Chemie-Lehrbücher von DDR-Verlagen, ein Köfferchen mit einem Radio und Musik-Kassetten - eine davon mit Pink-Floyd-Musik -, Beruhigungstabletten und ein Sparbuch auf den Namen Winfried Freudenberg. In der Nähe des Ballonlandeplatzes wurden auch Ausweispapiere gefunden, die darauf schließen lassen, daß auch eine Frau im Tragegestell mitgeflogen war.

Gegen 15.30 Uhr wurde im Garten der Limastraße 9 eine männliche Leiche gefunden. Sofort wurde die Vermutung gehegt, daß es sich um den 32jährigen Winfried Freudenberg handele, was der polizeiliche Lagedienst jedoch erst bei Redaktionsschluß bestätigte. Nach Polizeiangaben hat sich inzwischen ein Anwohner der Limastraße als Zeuge gemeldet, der gegen 7.30 Uhr nahe seines Hauses ein „plumpsendes Geräusch“ hörte, diesem jedoch keine Bedeutung beigemessen hatte.

Der Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen, zur Feststellung der genauen Todesursache wurde die Obduktion der Leiche angeordnet. Staatsschutzsprecher Piete gab als „vorläufiges Ergebnis“ gestern einen Absturz aus großer Höhe an. Der Leichnam weise diverse Knochenbrüche und innere Verletzungen auf.

Unklarheit besteht auch noch darüber, von wo in der DDR der Ballon kam und womit er angetrieben wurde. Zur Flugrichtung steht bislang fest, daß er sich südlich der Fundstelle von Winfried Freudenbergs Leiche im Baum verfing. Was darauf schließen ließe, daß er von Norden gekommen sein muß. Anwohner beobachteten den Anflug jedoch aus südöstlicher Richtung, woher der Wind heute morgen auch kam. Auch über das Antriebsmittel ist bislang noch nichts bekannt. Ein Heizgerät oder Brenner wurde nicht gefunden. Wahrscheinlich wurde das Gerät als unnötiger Ballast gleich nach dem Abflug abgeworfen.

plu

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