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Archiv-Artikel

Tja, Freimarkt (3): Linda Kafka Das Ponykarussel

Einmal im Jahr ist Freimarkt – aber muss man darüber schreiben? Kommt auf die Perspektive an, beweist die taz.bremen-Serie.

In den letzten Jahren ist das Interesse am Ponyreiten sehr zurückgegangen. Während es einst kaum möglich war, einen Platz in der Reihe an der Kasse zu erlangen, der einem Kinde, mit einigem Glück, dazu verhelfen konnte, in der ihm von den Eltern verstatteten Zeit, einen Schein zu erwerben, es berechtigend auf dem Rücken des ihm zugewiesenen Tieres dieses, im Gefühl eigener Macht, auf den Weg durch die vorgegebene Runde zu dirigieren, sieht man das Geschäft nunmehr verwaist.

Die vergnügungssüchtige Menge hat es verraten; wie in einer unausgesprochenen Übereinkunft hat sich unter den Besuchern des Jahrmarkts eine wahrhafte oder aber auch nur vorgetäuschte Verachtung gegen das Ponyreiten Bahn gebrochen; und gerade die Kinder, die sonst mit offenen Mündern vor dem Geviert ausgeharrt hatten und deren höchste Freude es gewesen war, sich bei den Stallungen herumzudrücken, um einem der dort ausruhenden Tiere leichthin den Hals zu klopfen und ihm Naschwerk zu zustecken, spuckten nun aus, wenn sie des Ponybesitzers ansichtig wurden; manche von ihnen mischten heimlich Kiesel, ungenießbares Zuckerzeug und Unrat in ihre Futtertröge, bis zuletzt selbst dieses Maß an Zuwendung im allgemeinen Überdruss an der Schaustellung der stumpf und gänzlich ohne Reiter ihre Runden drehenden Tiere erlahmt war. „Es bleibt“, sprach, dieses sich eingestehend, der Karussellbesitzer zu seinem Angestellten, „nichts anderes übrig als die Exekution.“ Denn, so seine Einsicht, selbst die Freiheit, den Ponys einmal geschenkt, würde diese zwar wohl für eine Moment aus dem Elend erheben. „Doch endlich wird mit jedem Fehler, der ja nicht ausbleiben kann, Alles ins Stolpern kommen, und die Tiere müssen sich von Neuem im Kreise drehen.“

Der Bedienstete tat, als hätte er diese an ihn gerichteten Worte nicht vernommen, hob seine glänzende Peitsche, die er während der ganzen Zeit in seiner Hand bewegt hatte, und ließ sie auf das Haupt seines Meisters niederfahren, der, wimmernd und mit beiden Händen ins Leere fassend, ins auf dem Boden ausgebreitete und vom immergleichen Trab mürbe gewordene Stroh sank. Am folgenden Morgen kamen Arbeiter, führten die Tiere zum Abdecker, kehrten die Manege aus und reinigten die fahrbaren Ställe, für die niemand mehr eine Verwendung hatte.