Tinder und das Selbstwertgefühl: Gut fürs Ego? Geht so
Wer Dating-Apps benutzt, kann sich dadurch attraktiver fühlen. Aber auch das Gegenteil kann passieren. Und wie steht's mit der Monogamie?
A ch, Tinder. Die beliebte Dating-App wirft viele Fragen auf. Und Vorurteile – wie es sie übers Onlinedating stets gibt: Macht die Nutzung der App glücklicher oder demoralisiert sie eher? Werden dank Tinder auch Langweiler zu Sexmaschinen? Rettet die App die Romantik oder verleitet sie zum seriellen Fremdgehen?
Zum Glück gibt es ja Forschung, die uns derlei Fragen beantwortet. Eine norwegische Studie zum Beispiel hat ergeben: Beim Anbahnen von One-Night-Stands haben vor allem jene Menschen Erfolg, denen das auch ohne Online-Dating gelingt. Na toll!
Interessanter wird's bei Fragen nach Monogamie. Je nach Umfrage sind zwischen 15 und 25 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer auf Dating-Apps bereits vergeben. Gut möglich, dass sich einige davon in offenen oder polyamoren Beziehungsformen befinden – aber wohl nicht alle. Also was machen die da?
Drei Forscherinnen haben sich kürzlich angesehen, ob es eine Assoziation zwischen der Nutzung von Dating-Apps und Untreue in der Partnerschaft gibt. Ihre Ergebnisse liefern allgemeine Erkenntnisse zum Reiz der Dating-App. Sie rekrutierten knapp 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die allesamt angaben, eine Dating-App (überwiegend Tinder) zu benutzen. Die Hälfte waren Studierende, 40 Prozent befanden sich in einer ernsthaften Beziehung. Die Mehrheit bezeichnete sich als hetero.
Erfolg nach „Likes“ und „Matches“
Die Teilnehmenden wurden zu ihrer Tinder-Nutzung befragt. Die Ergebnisse zeigen: Wichtig ist vor allem der eigene Erfolg. Gemessen wird dieser an der Anzahl von Matches (wenn einander zwei Personen „liken“) und Konversationen (die nur nach einem gegenseitigen „Like“ möglich sind). Je voller der Posteingang, desto attraktiver schätzt man sich selbst ein.
Logisch: Kassiere ich viele Komplimente, bin ich geneigt, ihnen zu glauben. Diese Attraktivität wiederum beeinflusst, ob man bereit wäre, seine Partnerin oder seinen Partner zu betrügen. Je begehrter sich Menschen empfinden, desto eher sind sie zur Untreue bereit. Abgefragt wurde lediglich die Intention; heißt also nicht, dass Tinder zu Untreue verleitet. Aber es steigert das Selbstwertgefühl, indem wir uns begehrt und attraktiv fühlen.
Die Anzahl der Matches und Konversationen beeinflusst übrigens auch positiv, wie die Teilnehmenden ihre Fähigkeit, eine neue Partnerin oder einen neuen Partner zu finden, einschätzen. Gönnt sich also, wer das Gefühl hat, es gebe wahnsinnig viele potenzielle Partnerinnen oder Partner, eher einen Seitensprung?
Das Gegenteil trifft zu: Die große Auswahl überfordert uns.
Tinder ist also ein „Ego-Booster“ voller Widersprüche: Wir suchen – und finden – dort Bestätigung für unsere Attraktivität, fühlen uns begehrt. Eine gute Sache, keine Frage. Gleichzeitig verunsichert uns die potenziell unbegrenzte Auswahl. Wir verlieren uns im riesigen Dating-Markt mit all seinen Sonderangeboten. Zu wissen, was man sucht, hilft. Vielleicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“