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Archiv-Artikel

Tiefschnee im Park

Loipeneinsamkeit und schönes Schädelweh: Der Bayerische Wald, Deutschlands erster Nationalpark, ist ein Langlaufparadies

von CHRISTEL BURGHOFF und EDITH KRESTA

Über den Loipen biegen sich die Zweige unter dem Gewicht schwerer Schneehauben, wie dicker Zuckerguss klebt der Schnee auf den Tannen. Europas grünes Dach, der legendäre Böhmerwald, zu dem topografisch auch der Bayerische Wald gehört, wird in der kalten Jahreszeit für Monate zum Winterparadies. Vor allem für Langläufer. Mit leichter Ausrüstung und der Perspektive, sich unter hunderten von gespurten Loipenkilometern die schönsten Wege im tief verschneiten Wald zu suchen, gehen wir auf Spur. Langlauf ist ein leicht zu habendes Vergnügen: wenig Kleidung, kaum Gepäck und gute Beweglichkeit trotz langer Bretter. Pures Gleiten.

„Wir haben hier den bestgespurten Loipenverbund von ganz Deutschland“, sagt der Regionalmanager der Nationalparkgemeinden Bayerischer Wald, Rainer Bomeisl. „Unsere Geräte spuren auch die grenzüberschreitenden Loipen auf der tschechischen Seite im Sumava-Nationalpark.“ Die Region ist ein Dorado für Outdoor-Fans, ein Naturraum von höchster Güte. Hier ist eines der größten europäischen Waldgebiete mit alten, urwaldähnlichen Beständen und großflächigen, dunklen Tannenwäldern, die sich auf Höhen von über 1.400 Metern hinaufziehen. In der Nachkriegszeit dämmerte die Grenzregion abgeschieden zwischen Ost und West dahin. Bis 1970 eine Pionierleistung den Bayerischen Wald zu einem neuen Thema machte: Es entstand der erste deutsche Nationalpark. Ausgetüftelt und propagiert hatten diese Idee der bekannte Frankfurter Zoodirektor Bernhard Grzimek und Hubert Weinzierl, damals Vorsitzender des Bundes Naturschutz (BUND). Erster Leiter des Nationalparks wurde Hans Bibelriether, der sich engagiert der Verwirklichung internationaler Schutzziele verschrieb.

Nachdem der Eiserne Vorhang gefallen war, erklärte Tschechien 1991 den angrenzenden östlichen Teil des Waldes zum noch viel größeren Nationalpark Sumava – Ansporn für Bayern, 1997 auch seinen Nationalpark flächenmäßig zu verdoppeln. Hinzu kam, dass mit dem Niedergang der Holzwirtschaft und der Glaswarenindustrie, die hier mit Marken wie Schott/Zwiesel oder Nachtmann heimisch ist, der Nationalpark als neuer Wirtschaftsfaktor einspringen konnte.

Wenn so viel Schnee liegt wie jetzt, sind nicht alle Loipen befahrbar. Manche Wege sind durch quer liegende Äste und Bäume versperrt, die unter der Schneelast zusammenbrachen. Wir kürzen querfeldein ab. Volksmusik weist uns den Weg. „Schädelweh, Schädelweh ist schön“, dröhnt es über den Hang, und nach der nächsten Biegung kündet eine blau-weiße Flagge die bodenständige Rast an. Eine kleine, rappelvolle Hütte an der Loipe, in die wir uns hineindrängeln. Die schnell servierte Erbsensuppe wird mit einem Bärwurz, dem als gesund gepriesenen heimischen Schnaps, heruntergespült. Die Stimmung ist gut und wird mit jedem Schnaps besser. Der Gesprächspegel ist hoch und übertönt noch die Blasmusik aus dem Kassettenrekorder. O stille Loipenherrlichkeit!

Traditionell steht Urlaub im Bayerischen Wald für unspektakulären Senioren- und Familienurlaub im Mittelgebirge. Aber das Modell der klassischen Sommerfrische in der Frühstückspension verliert an Bedeutung. „Das Publikum wird jünger“, sagt Christian Binder, zuständig für Tourismus im Landratsamt Freyung. „Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer hat sich von zehn auf gut fünf Tage verringert, dafür haben wir mehr Ankünfte.“ Zuwächse hätten vor allem diejenigen Gastgeberbetriebe, die den Nationalpark als Anreiz mitvermarkten, meint Binder. Viele dieser Hotels punkten mit speziell geschulten Mitarbeitern. Rainer Bomeisel spricht von 40 bis 50 Hotels, die sich um eine Zertifizierung als Nationalparkhotels bemühen.

Der Nationalpark wirkt als Modernisierungsschub. Wie auch das Thema Wellness: Wo der Luchs wieder jagt, mag man sich auch mit natürlicher Kräuterkosmetik und entspannter Massage im guten Hotel verwöhnen lassen. Hotels, die auf Wellness setzen, können sich über immer mehr Besucher freuen.

Meterhohe Schneewälle säumen die alte Transitroute Goldener Steig bei Finsterau. Hier überquert die bayerische Loipe die Grenze und fädelt sich ins tschechische Netz ein. Eine gute Gelegenheit für einen langen Tagesausflug. Dieser Grenzverkehr gehört zu den schönen Folgen von Tschechiens EU-Mitgliedschaft. Hier, wo einst das Salz von Bayern nach Böhmen transportiert wurde, liegt auch das regionale Freilichtmuseum. Es ist eine der Attraktionen neben Nationalparkhaus und Tierfreigehege. Im Freilichtmuseum wurden historische Bauernhäuser wieder aufgebaut und machen das harte Leben der Waidler von früher anschaulich. In der originalen „radizierten Tafernwirtschaft Ehrn“ macht uns Thomas Kröber, der Wirt, den Mund wässrig: Blunzengröstl mit Erdäpfeln oder Gänsebrust mit Pflaumensoße, Reibeknödl und Blaukraut. Als Vorspeise eine Knoblauchsuppe mit Käse, zum Nachtisch Germknödl mit Vanillesoße und Mohn. Ausgezeichnete bodenständige Kost in stilechtem, historischem Ambiente.

Eine andere Route geht über den Lusen, einen der höchsten Berge im Nationalpark. Vom Ort Waldhäuser aus sind es fast 400 Höhenmeter bis zur Gastwirtschaft in der Schutzhütte. Ein schweißtreibender Anstieg, den viele mit Schlitten bewältigen. Die Fahrt abwärts ist dafür halsbrecherisch schön. Der langjährige Landschaftsplaner Michael Haug führt eine große Gruppe auf den Berg. Ein Angebot der Nationalparkverwaltung. Wir schließen uns an. Dass zum Gipfel hin die Bäume nur noch als Gerippe in die neblige Landschaft ragen, ist hier ein sensibles Thema. Denn so geschützt die Natur im Nationalpark ist, auch der Borkenkäfer hat diesen Schutz genutzt und die Bäume kahl gefressen und so die Gemüter vieler Waidler gegen den Schutzgedanken aufgebracht. „Ich kann die Leute verstehen“, sagt Michael Haug. „Auch mir tut es weh, wenn ich die toten Bäume sehe, aber ohne dieses Absterben gibt es auch keine echte Verjüngung des Waldes.“

In den Gemeinden rumort es. Von Anfang an wehrten sich viele Menschen gegen die Schutzauflagen, die mit dem Qualitätsmodell Nationalpark verbunden sind, sie wehrten sich auch gegen die Erweiterung von 1997. Immer wieder wird verlangt, dass vom Borkenkäfer befallene Bäume gefällt werden und nicht einfach in der Landschaft stehen. Geschickt hat die Nationalpark-Verwaltung diese „Borkenkäfer-Kalamität“ zum Lehrmodell und zur Aufklärung über natürliche Waldentwicklung genutzt. Geradezu wie im Bilderbuch kann man im Bayerischen Wald erleben, in welchen Zyklen Naturprozesse ablaufen. Der Konflikt zwischen dynamischer Natur und der Liebe der Waidler zum gehegten Försterwald ist lange nicht ausgestanden. Aber der Attraktivität des Bayerischen Waldes hat der Nationalparkgedanke nur genutzt: Er ist das touristische Zugpferd der Region.