Thriller über Juden in Warschau: Viel Feind, viel Ehr
Der Schriftsteller Szczepan Twardoch ist in Polen ein Star. Sein Roman „Der Boxer“ knallt in die Debatten über eine polnische Beteiligung am Holocaust.
Nur wenige Menschen sind auf den Straßen. Die Hausfassaden sind grau, oft bröckelt der Putz, hier und da zwischen den Vorkriegswohnkasernen steht ein glänzender, gläserner Neubau. Katowice: Schlesiens Hauptstadt der Gegensätze. Ein Freitagabend Ende Januar. Szczepan Twardoch sitzt am Steuer seiner gewaltigen Mercedes-Limousine und rast durch den Nebel durch das Zentrum. Ob wegen des schlechten Wetters alles so ausgestorben wirke? „Nein“, sagt er. „Die Menschen sitzen einfach immer zu Hause und trinken ihr Dosenbier.“
Twardoch ist in Polen ein Literatur-Star, er ist der bekannteste zeitgenössische Schriftsteller seines Landes. „Ein polnischer Schriftsteller, aber ich bin Schlesier“, sagt er mit Nachdruck. Die Gegend um Katowice und Gliwice, das alte Steinkohlebergbaugebiet, ist sein Revier, seine hajmat, wie es auf Schlesisch heißt. Die Boomtown Warschau mit ihren imposanten Wolkenkratzern ist weit, Touristen zieht es ins nahegelegene Krakau, hierhin verirren sich seltener ausländische Gäste. „Das Problem ist, dass es in der gesamten Agglomeration nur vier gute Restaurants gibt“, sagt Twardoch.
Auf den ersten Blick will er, der Mann mit dem pomadisierten Haar, dem maßgeschneiderten Dreiteiler und der Luxuskarosse, nicht so recht in diese Gegend passen. Aber er lebt aus Überzeugung mit seiner Frau und den beiden Söhnen hier, seine Familie tut es seit Generationen. Im Dorf Pilchowice, 40 Kilometer entfernt, hat er ein schickes Haus. Gerade ist der dritte Roman des erst 38-Jährigen auf Deutsch erschienen, „Der Boxer“, im Original „Król“, also „König“. In Polen ist es sein bisher erfolgreichstes Buch, es hat sich noch besser verkauft als seine Vorgänger.
Die Geschichte beginnt mit Tod, wie so oft bei Twardoch, blutig und detailliert. Und zwar mit dem Tod eines gottesfürchtigen Mannes aus einem Judenviertel im Warschau des Jahres 1937. Erzählt wird alles von dessen Sohn. Jedoch ist weder er noch der Ermordete die Hauptfigur in „Der Boxer“. Der Held oder der Antiheld ist der Mörder, Jakub Shapiro, Faustkämpfer, talentiert, elegant und die rechte Hand des Paten Kaplica.
Die Stadt wimmelt nur so von gnadenlosen Gangstern, schönen Huren und schmierigen Journalisten. Shapiro ist einer der Herrscher über diese Welt, und er stürzt sich in einen wahren Unterweltkrieg, als seine Position bedroht wird. Hinein spielen die politischen und gesellschaftlichen Spannungen Polens jener Zeit, Faschisten und Kommunisten ringen um Einfluss, Antisemitismus und Hass brechen sich Bahn. Und wie ein Herzschlag, der immer lauter wird, ahnt der Leser das große Unheil, den deutschen Überfall auf Polen zwei Jahre später.
Trennung des Jüdischen vom Polnischen
Twardoch verpflanzt historische Vorbilder in eine thrillerhafte Erzählung; freilich, das Motiv des tough jew, also des „harten Juden“, der sich aus seiner Ausgestoßenheit entschlossen herauskämpft und auch mal zuschlägt, wenn es sein muss, ist nicht neu. Einem Kinopublikum wurde es spätestens 1984 in Sergio Leones „Es war einmal in Amerika“ vorgeführt: der jüdische Gangster.
Twardoch jedoch erhöht in „Der Boxer“ das Tempo, und er ist radikaler. Die polnischen Juden in seinem Warschau leben in einer vollkommen anderen Welt als ihre christlichen Landsleute; sie begegnen einander höchstens mit Verachtung. Da ist der brutale Shapiro beinahe ein Vorbild in Sachen Verständigung, immerhin arbeitet er mit einem Goi zusammen.
Diese zugespitzte Darstellung der Trennung des Jüdischen vom Polnischen ist in Polen auf Kritik gestoßen. Jacek Dehnel, selbst Schriftsteller, Übersetzer und selbst ernannter Warschau-Kenner, warf Twardoch in mehreren Beiträgen vor, die Geschichte seiner Stadt nicht korrekt zu zeigen, und verwies spitz auf dessen schlesische Herkunft.
Szczepan Twardoch: „Der Boxer“. Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Rowohlt, Berlin 2018, 464 Seiten, 22,95 Euro
Natürlich geht es auch differenzierter. Das Polnisch-Jüdische war nicht bloß ein Gegeneinander, sondern auch ein Mit- und Ineinander. Hinzu kommt: Die deutschsprachige Veröffentlichung von „Der Boxer“ fällt aktuell in eine Phase, in der das „Holocaust-Gesetz“ der nationalkonservativen Regierung in Polen Anlass ist, über polnische Schuld zu sprechen, darüber, inwieweit christliche Polen während des Zweiten Weltkriegs ihre jüdischen Mitmenschen ans Messer geliefert haben, um sich selbst zu bereichern.
Aussagen wie die, dass jene szmalcownicy, in etwa „habgierige Verräter“, eine Mitschuld am Holocaust tragen, sollen kriminalisiert werden. Twardochs Buch wird also zusätzlich politisch aufgeladen. Die Kritik von Jacek Dehnel zumindest ficht Twardoch indes nicht an. Er zieht gleichgültig die Schultern hoch. „Ich habe mich entschieden, mich mit Warschau zu beschäftigen, weil ich mich eben mit Warschau beschäftigen wollte.“
Freude an der Provokation
Er sitzt in einem griechischen Restaurant in Katowice. Der Sirtaki-Sound ist etwas zu laut. Twardoch spricht mit gedämpfter Stimme, nasal, gelegentlich mit einem leichten schlesischen Einschlag. Bereits bevor das Essen auf den Tisch gestellt wird, stürzt er zwei Gläser Weißwein runter. Er entschuldigt sich, er komme gerade aus einer Theatervorstellung. „Da wäre ich beinahe ausgetrocknet“, sagt er.
So ganz von ungefähr kommt die Themenwahl dann aber doch nicht. Fragen von Identität, vom Verhältnis einer Minderheit zu einer Mehrheit beschäftigen Juden wie Schlesier. „Vielleicht gibt es Jakub Shapiro deswegen“, schiebt er nach. Mit Schlesien hat Twardoch sich in seinem vorangegangen Roman, „Drach“, aus dem Jahr 2014 beschäftigt. Auch das war ein Kassenerfolg, wenn auch nicht in dem Maße wie „Der Boxer“. Die Marke Twardoch zieht in Polen. Denn obwohl Schlesien immer mal wieder ein mediales Thema ist – zum Beispiel wegen der Autonomiebestrebungen des Landesteiles –, es bleibt eine Nische. Twardoch hat es wieder prominenter gemacht, nicht nur in Polen, und er weiß darum.
Gerührt erzählt er von einer Lesung in Deutschland vor einigen Jahren zusammen mit seinem Übersetzer Olaf Kühl. Im Anschluss sei ein älterer Herr auf ihn zugekommen, der als vierjähriges Kind aus Schlesien nach Deutschland gezogen sei. Erst durch ihn habe er gelernt, dass er weder Pole noch Deutscher sein müsse. Er könne auch Schlesier sein. „Das war eines der schönsten Komplimente, die ich je bekommen habe“, sagt der Autor.
Nach dem Essen möchte Twardoch noch in eine Bar. Martini, Negroni und Whiskey. Es wird eine lange Nacht – und das, obwohl er am nächsten Morgen einen Boxkampf bestreiten muss. Ja, überraschend ist das nicht. Mit der Arbeit an „Der Boxer“ hat er angefangen zu trainieren und ist dabei geblieben.
Draußen zieht Twardoch seinen Mantelkragen hoch. Aber es nützt nichts. Mehrfach wird er von Passanten angesprochen, die ein Foto mit ihm wollen. Erst zu noch späterer Stunde wird es ihm zu viel und er ignoriert die Annäherungsversuche. Diese Popularität ist nicht nur seinen Büchern geschuldet. Er war das Gesicht der Mercedes-Benz-Kampagne in Polen. Eine Zeit lang war er auf etlichen Plakaten im ganzen Land zu sehen, was ihm Kritiker bis heute vorwerfen. Schickt sich diese Selbstvermarktung für einen Schriftsteller?
In jedem Fall scheint sich Twardoch an der Provokation zu freuen. Am nächsten Tag kommt er gegen Mittag zum vereinbarten Treffpunkt, einer Weinbar in einem alten Ziegelbau in Gliwice, der viertgrößten Stadt der Woiwodschaft. Es herrscht dichter Nebel, keine Menschenseele weit und breit, drinnen jedoch ist es voll. Twardoch humpelt, sein Bein schmerzt. „Ich habe ihn am Kopf getroffen, ihm tut es mehr weh“, sagt er und lacht triumphierend.
In Polen fällt er regelmäßig mit Kritik an der Regierungspartei auf. „Das sind Dilettanten“, sagt er. Die liberalkonservative Opposition jedoch findet er genauso schrecklich. Er teilt also in alle Richtungen hin aus. Viel Feind, viel Ehr. Ich bin schließlich keine Tomatensuppe, sodass ich jedem schmecken muss, heißt es auf Polnisch. Wer will schon von allen gemocht werden? Twardoch nicht, so wenig wie die Figuren in seinen Romanen. Zum Glück.
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