■ Thomas Krüger (SPD), Berliner Jugendsenator, zur Strategie seiner Partei gegenüber der PDS: Keine Angst vor der PDS!
taz: Herr Krüger, hat die SPD nach den Wahlen vom letzten Wochenende jetzt ihren Angstgegner entdeckt – die PDS?
Thomas Krüger: Schock und Idee liegen immer dicht beieinander. Angst vor der PDS wäre jetzt mit Sicherheit die falsche Reaktion. Es ist immer noch besser, die Leute wählen eine PDS mit einem sozialdemokratischen Programm, als daß sie ihrem Strukturkonservatismus Ausdruck geben und rechts wählen.
Das hört sich schon fast wie eine Vereinnahmung an. Seit wann hat die PDS ein sozialdemokratisches Programm?
Die PDS hat in vielen einzelnen Sachfragen die Programmatik der SPD für sich übernommen. Das kann man als schlechtes Gewissen über ihre Vorgeschichte interpretieren. Das kann man aber auch begreifen als ein Signal dafür, daß die sozialdemokratische Programmatik der Vollendung der Einheit aus der Perspektive der neuen Bundesländer durchaus angemessen ist.
Dann ist ja die PDS programmatisch gesehen für kommende Koalitionen schon reif?
Eine Koalition mit der PDS kommt nicht in Frage. Aber man kann natürlich vor allem in den Kommunen die PDS nicht aus der Verantwortung entlassen und sollte von allen Parteien ein vernünftiges Miteinander verlangen. Wer die PDS nur an ihrer Vergangenheit mißt, übersieht, daß man sie auch hinsichtlich der Politikgestaltung beim Wort nehmen muß. Es hat sich auch in den Kommunen gezeigt: Wenn man die PDS bei ihrer Verantwortung nimmt, sieht sie ziemlich blaß aus.
Nach den Wahlergebnissen vom Wochenende sieht es danach aus, als ob mehrheitsfähige Konstellationen in den östlichen Ländern nur noch mit der Union oder der PDS zustande kommen.
Ich glaube, daß die SPD, wenn sie in den neuen Bundesländern oder überhaupt als regierungsfähige Partei überleben will, die Polarisierung gegenüber der CDU verstärken und die gegenüber der PDS beibehalten muß. Gegenüber der CDU muß man sein Profil als reformerische Partei schärfen, gegenüber der PDS muß man deutlich machen, daß eine Vereinnahmungstaktik à la nationale Front mit der SPD nicht in Frage kommt. Der Organisationsgrad der SPD ist in den neuen Bundesländern unverhältnismäßig schwächer als der der PDS. Die Gefahr einer Vereinnahmung durch die PDS wäre bei einer Zusammenarbeit nicht von der Hand zu weisen.
In der Alternative PDS/SPD oder Große Koalition ist die Große Koalition für die SPD das kleinere Übel?
Ich würde der SPD nicht raten, eine Absage an die Koalition mit der PDS mit einer möglichen Zusage an eine Große Koalition zu verbinden. Für die SPD muß es Programm werden, die Thematik der Einheit mit einem reformerischen Anspruch zu verbinden. Diese beiden Punkte können eine Stärke der SPD werden, wenn man sich den richtigen Koalitionspartner aussucht. Der ist wohl weder die CDU noch die PDS.
Es gibt PolitikerInnen in der SPD, die sich für eine Zusammenarbeit mit der PDS auf kommunaler Ebene aussprechen. Wo ist denn der Unterschied zwischen der Kommunal- und Landesebene? Warum soll auf Landesebene nicht möglich sein, was auf kommunaler Ebene gefordert wird?
Ich glaube, daß es wichtig ist, einen bestimmten Anteil der Wähler nicht einfach auszugrenzen lediglich mit dem Hinweis auf die Vergangenheit. Wer die PDS wählt und damit Mandatsträger in die Kommunalparlamente schickt, der muß auch verlangen können, daß diese Leute gemessen werden an den Leistungen, die sie dann bringen. Der PDS muß der Nimbus der Unberührbarkeit genommen werden. Das kriegt man nur hin, indem man vor Ort entscheidet, was für die Kommune jeweils der richtige Weg ist. Auf der Landesebene sind Koalitionen mit der PDS aber der falsche Weg, weil die SPD die Polarisierung gegen beide Seiten, Union und PDS, vorantreiben muß. Sie wird in jedem Fall in Schwierigkeiten kommen, wenn sie sich der einen oder anderen Seite unterwirft. Man muß davon ausgehen, daß die SPD stark genug ist,mit ihrer eigenen Programmatik um Wähler zu werben.
Die bisherige Strategie ist allerdings von den Wählern in den neuen Ländern nicht sonderlich honoriert worden.
Gegenüber der bisherigen Strategie muß es zwei Präzisierungen geben. Zum einen bedarf es eines schärferen Profils der SPD als Alternative zur Bundesregierung. Die SPD muß eine sozialdemokratische und alternative Programmatik konturenschärfer als bisher entwickeln. Zweitens, die PDS darf nicht nach ihrer Vergangenheit beurteilt werden, sondern muß an der Gegenwart und der Zukunft gemessen werden. Der Antikommunismus darf nicht einziges Kriterium für den Umgang mit der PDS sein. Man muß die PDS bei ihren unrealistischen, populistischen politischen Forderungen anpacken. Darin liegen die Chancen der SPD, nicht in einer vorauseilenden Unterwürfigkeit für irgendwelche Koalitionspartner.
Stichwort Bundestagswahlen. Drei Direktmandate reichen der PDS, um in den Bundestag zu ziehen. Es hat Absprachen gegeben oder Versuche von Absprachen zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, gemeinsam diese Direktmandate der PDS zu verhindern.
In meinem Wahlkreis hat es keine Absprachen gegeben. Wir brauchen keine nationale Front gegen die PDS, sondern starke alternative Konzepte zur bisherigen Politik, sowohl der PDS als auch der Bundesregierung. Wir dürfen keine Angst vor der PDS haben, sondern müssen uns offensiv mit ihr auseinandersetzen.
Muß eine Partei im Bundestag repräsentiert sein, die regional 20 bis 30 Prozent der Wähler erreicht?
Die CSU ist auch im deutschen Bundestag, und möglicherweise übernimmt die PDS ähnliche Funktionen für die neuen Bundesländer. Regionalparteien haben sehr viel mit Strukturkonservatismus zu tun.
Wenn die Perspektive der PDS für den Osten diejenige der CSU in Bayern ist, dann sehen die Aussichten der SPD aber ziemlich düster aus.
Wenn man der PDS den Nimbus des Märtyrers nimmt und sie an dem mißt, was sie vor Ort an Politik macht, dann wird sie sich bald als eine Art Fata Morgana herausstellen. Sie macht Politik aus dem Bauch. Wenn SPD und Grüne die offensive Auseinandersetzung mit der PDS nicht scheuen, werden sie bald in das Wählerterrain vorstoßen, das bislang noch von der PDS besetzt wird.
Interview: Matthias Geis
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