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Theorie & TechnikMensch als unberechenbarer Lump

Das Agieren der Marktteilnehmer ist nicht nur von Fakten abhängig, sondern auch von ihren Zukunftserwartungen. Wie die Krise auch in eine Krise der Statistik ausartet.

Laut Rechenmodellen befinden wir uns mitten in einer Hochkonjunktur-Phase. Bild: dpa

"Wehe! Ewig undurchsichtig / Sind die ewigen Gesetze / Der menschlichen Wirtschaft! Ohne Warnung / Öffnet sich der Vulkan und verwüstet die Gegend!", heißt es bei Brecht.

Damit die Sache etwas vorhersehbarer wird, gibt es Statistik und ökonometrische Modelle. Aber mit denen ist es so eine Sache: Schon normale ökonomische Vorgänge lassen sich kaum in die wirtschaftsmathematischen Modelle zwängen, und zwar erstens, weil "es im allgemeinen sehr schwierig ist, die gesamte relevante Information, die von den Wirtschaftssubjekten benutzt wird, in ein einfaches ökonomisches Modell einzubeziehen" - so habe ich das schon vor zwanzig Jahren aus dem Lehrbuch für Makroökonomie gelernt. Und noch schwieriger ist es, darauf richtig politisch zu reagieren, da das Agieren der "Marktteilnehmer" - also der Menschen - ja nicht nur von Fakten abhängig ist, sondern auch von ihren Zukunftserwartungen.

Diese Erwartungen können sich verändern - etwa wenn die Menschen erfahren, was die Modelle vorhersagen, oder wenn die Wirtschaftspolitik reagiert. Wie die Menschen auf dieses Reagieren reagieren, lässt sich wiederum nur schwer prognostizieren.

Wenn die Regierungen massive Konjunkturprogramme auflegen, sind grob gesprochen zwei Reaktionen möglich: die Marktteilnehmer denken sich, "prima, die Politiker werden das Schlimmste verhindern", und geraten in Konsumlaune. Oder aber sie denken sich, "Ojemine, wenn die Politik so ein Drama macht, dann muss es wirklich schlecht bestellt sein um uns" - dann sparen die Konsumenten, die Unternehmen verschieben Investitionen etc. Aus all diesen Gründen und geschätzten hundertsiebenunddreißig anderen kann sich Wirtschaftspolitik selbst einen Strich durch die Rechnung machen, aber es kann auch die Statistik eifrig daran mitarbeiten, ihre eigenen Ergebnisse zu verfälschen. Besonders schlimm wird das natürlich, wenn die Normalität dem Chaos weicht. Dann kann man die aktuellen Daten in Modellreihen einspeisen, die lange grosso modo zuverlässig waren, und es kommt etwas völlig Absurdes heraus. So erzählte mir ein Notenbanker, dass die Modelle gerade eine Hochkonjunktur prophezeien. Hohe Kreditzinsen deuten auf hohe Kapitalnachfrage und damit auf ein gutes Investitionsklima hin, ein gesunkener Ölpreis auf eine günstige Preisstruktur für Unternehmen. Was der Rechner ausspuckt wandert direkt in die Rundablage.

Die Krise zieht also auch eine Krise der Statistik nach sich - bemerkenswerter freilich ist, dass die Krise selbst ein Resultat schlecht verstandener Wirtschaftsmathematik ist. Vereinfacht gesprochen ist die Krise ja eine Folge eines aufgeblasenen Kreditvolumens - und des massenhaften Ausfalls von Krediten. Nun ist es aber nicht so, dass die Banken dazu übergegangen sind, einfach freihändig Kredite zu vergeben. Sie hatten Modelle und historische Datenreihen zur Hand, mit Hilfe derer sich statistische Ausfallwahrscheinlichkeiten von Darlehen berechnen ließen.

An sich ist das eine prima Sache: Ohne solche Mathematik könnte es keine Versicherungen geben. Wenn jemand sein Eigenheim auf Feuer oder Sturm versichern will, kann man anhand des Wissens, dass durchschnittlich pro Jahr - beispielsweise - von tausend Häusern eines abbrennt, leicht eine Schadensfallwahrscheinlichkeit errechnen. In diesem Fall ist es auch kaum anzunehmen, dass mit dem Eintritt des Schadens sofort Folgerisiken wirksam werden - wenn ein Haus abbrennt, verleitet das ja nicht zehn Nachbarn dazu, ihre Häuser in Panik auch gleich anzuzünden.

Aber genau das passiert, wenn auf Finanzmärkten der Risikofall eintritt. Deshalb sind, schreibt der Wirtschaftsjournalist Rainer Sommer in seinem Buch "Die Subprime-Krise und ihre Folgen", "Panik und Herdentrieb generell eher schwer mathematisch erfassbar". Hinzu kommt, dass mit der Genauigkeit der Berechnungsmodelle nicht nur die Wirklichkeit exakter beobachtet werden kann, sondern dass sich die beobachtete Wirklichkeit sofort verändert. Denn mit den neuen mathematischen Methoden werden neue Finanzprodukte generiert, aber die Daten, die den Modellen zugrunde liegen, stammen aus einer Zeit, als diese Produkte noch nicht existierten.

Sommer schreibt: "Die dadurch veranlassten Trades verändern das Umfeld, von dem das Modell ausgegangen ist, wodurch es bald obsolet werden wird. So verhält es sich mit den verschiedenen Programmen, die aus historischen Daten mit Hilfe mathematischer Algorithmen auf nachhaltige Trends und Preisentwicklungen schließen oder Handelssignale generieren sollen."

Es ist in der Ökonomie schon nahezu unmöglich, zu berechnen, wie all die vielfältigst miteinander verwobenen harten Parameter aufeinander reagieren. Gänzlich unberechenbar ist aber der Mensch, der Lump.

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2 Kommentare

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  • OS
    Oskar Sauerteig

    Die Heuschrecken spielen Roulette. Nach dem System "Martingale". Die Theorie dazu: Zehn mal gings gut, also muss es beim elften Mal auch gut gehen, oder?

     

    Warum es beim Roulette nicht gut geht, ist längst untersucht. Nur dass auf dem Finanzmarkt das Gleiche passiert, haben die Heuschrecken immer noch nicht kapiert.

  • F
    ferry

    Netter Artikel, wer ist der Autor?