Theater erkundet Geheimdienste: Die Überwacher
Ein aufregendes Theaterfestival: „Parallel Lives“ in Dresden erzählt vier Tage lang Geschichten der Geheimdienste in Osteuropa.
Die Stadt auf der Bühne scheint so real wie unwirklich. Eine Schraffur aus Zeichen legt sich über die verwinkelte Tücherszenerie, auf der historisches und aktuelles Bildmaterial Gegenwart und Vergangenheit zitiert. Davor diskutieren drei Geheimdienstoffiziere und kämpfen um Formulierungen. Sie sind sich nicht sicher, wie sie ihre Berichte über einen standhaften Priester abfassen sollen. Gegen die Wirklichkeit ihrer Erkenntnisse kämpfen sie mit ihrem Auftrag, ihr Opfer als gefährlichen Gegner zu entlarven und nur das erwartete Lebensbild zu liefern.
Schwierig, wenn die Wirklichkeit sich anders darstellt als die kommunistischen Machthaber sie woll(t)en. In diesem Stück „Vnútro vnútra“, was etwa mit „Das Innere des Inneren“ zu übersetzen wäre, lässt das Team um die Regiesseure L’ubomír Burgr und Dušan Vicen aus dem slowenischen Bratislava seine Darsteller sogar aus ihren Rollen steigen. Ganz in der Gegenwart ihres Berufes als Schauspieler angekommen, diskutieren sie, wie alte Geheimdienstvorgänge heute richtig darzustellen sind. Worauf die Welt im Spiel geheimnisvoll surreal und beängstigend undurchschaubar wird.
Die Überwacher tragen schleimige Tiermasken und bemühen in Filmprojektionen Hamlets Theater im Theater „Die Mausefalle“, mit dem Hamlet den Mörder seines Vaters zu entlarven hofft. So wird das nacherzählte authentische Geschehen auf doppelte Weise in Geschichte eingebettet, - in die der Politik wie in die des Theaters.
„Vnútro vnútra“ ist eine von sechs Inszenierungen, die das Festival „Parallel Lives - Das 20. Jahrhundert durch die Augen der Geheimdienste gesehen“ im Staatsschauspiel Dresden präsentiert. 2013 wurden die Stücke erstmals in der slowakischen Stadt Nitra gezeigt. Es ist ein Konzeptfestival, aus europäischen Töpfen finanziert und in der Zusammenarbeit von Theatern aus sechs osteuropäischen Ländern entstanden. Dabei wurden die Künstler zu innovativen Rechercheuren in (oftmals noch schwer zugänglichen) staatlichen Archiven.
Das Dokumentartheater weiterentwickelt
Doch nicht nur deshalb leisten die Aufführungen aus Rumänien, Tschechien, Polen, Deutschland, Ungarn und der Slowakei Entwicklungsarbeit, sondern sie finden auch Formen eines spielerischen Dokumentartheaters, das mehr als die nüchterne Akten-Erzähl-Form kennt und als sinnliches Theaterspiel daher kommt. Mal als Groteske, mal als kleine Oper, dann auch als surreale Komödie oder gar als fast multimediales Spektakel. Immer aber unterhaltsam, ob komisch oder tiefernst. Manchmal anstrengend, öfter aber anregend.
Denn anders als das alte Dokumentartheater belehren sie den Zuschauer nicht, sondern erwarten, dass er sich in die Auseinandersetzung mit einer Vielfalt von Darstellungsformen begibt und selbst in den nationalen Geschichten auf Erkenntnissuche geht.
Es ist ein Theater, das politische Fragen von gestern als heutige zur Diskussion stellt. Etliche Künstler haben sich ungelöste Geheimdienst(mord)fälle vorgenommen, und viele Aufführungen fragen, wie und ob sich postkommunistische Gesellschaften mit den (Archiv)Erinnerungen auseinandersetzen.
Kontaminierte Justiz
So betont Projektkurator Jan Simko: „In der Slowakei war für die Künstler interessant, wie die Justiz funktioniert oder nicht funktioniert. Weil man in der Justiz in der Slowakei am stärksten die Kontinuität fühlt. Die Leute, die in der Justiz vor 89 waren, sind immer noch da und blockieren viele Fälle.“
Auffällig ist, wie stark der Kampf der kommunistischen Geheimdienste von der Auseinandersetzung mit der Kirche bestimmt war. Das Prager Nationaltheater erzählt in Ales Brezinas kleiner Doku-Oper „Toufar“ die unaufgeklärte Geschichte des Priester Toufar, den 1949/50 der Geheimdienst der kommunistischen tschechischen Republik ermordete. Toufur wird verhaftet und gefoltert, nachdem sich bei einer Messe bei seinen Worten „hier im Altar ist eure Rettung“ das Kreuz hinter ihm bewegt haben soll, was die Kommunisten als provokativen Trick ansehen.
Die Inszenierung arbeitet mit kirchlichen Zeremonien, mit einem Countertenor und einer Schauspielerin, die aus Tourfars Akte vorsingt, sowie mit einem Chor junger Mädchen, die sich von Messdienerinnen zu Geheimpolizistinnen wandeln, und blendet historische und propagandistische Filmszenen ein.
Plakativ im Sexclub
Fast ein Kontrastprogramm dazu ist der Versuch des Teatr Nowy aus Krakov, zwei Lebensläufe im Setting eines Sexklubs aufeinanderstoßen zu lassen. Ein ehemaliger Offizier der Geheimpolizei phantasiert sich im Rollstuhl durch sein Leben, das nach seinem Kampf gegen die katholische Intelligenz in Bedeutungslosigkeit versank. Er schreit seine Verletzungen, versetzt mit sexuellen Beschimpfungen, gegen eine junge Französin hinaus. Die, Tochter einer emigrierten jüdischen Dissidentin aus Polen, tanzt ihm ohne Reaktion in Slip und BH an der Stange vor, - was ihr Job ist. Ein plakatives Bild für eine neue Wirklichkeit.
Meist aber reden die Archive. Wie bei der rumänischen Regisseurin Gianina Carbunariu in „Typografia Majuskula“. Überblendet von einer Vielzahl Archivalien, wird die Geschichte eines 16jährigen Schülers erzählt, der Freiheitslosungen sprayt und von einer Übermacht von Geheimpolizisten gejagt wird.
„Parallel Lives Festival“, 19. - 22. Juni am Staatsschauspiel Dresden
Während in einer Inszenierung der Dresdner Bürgerbühne, „Meine Akte und ich“, Betroffene aus ihrem Leben berichten, zeigt die Sputnik Shipping Company aus Budapest in „Reflex“ ein komödiantisch-artistisches Spiel, bei dem die Frage danach, ob der Staat über den geistigen Zustand seiner Bürger entscheiden kann, in einer Nervenklinik verhandelt wird. So ist “Parallel Lives“ ein thematisch ungewöhnlich konzentriertes und aufregendes Festival.
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