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Archiv-Artikel

Theater braucht keine Zuschauer

Seit zehn Jahren bemüht sich das Studio 13 Theaterinstitut um den Schauspiel-Nachwuchs. Für das Jubiläum hat der Regisseur Markus Herlyn zwei Jahre lang mit einem „Ensemble der Autoren“ ein eigenes Stück erarbeitet: „splitter faser nacht“

Von fis

Die Szene: ein Hinterhof zwischen Übersee-Museum und Breitenweg. Herüberduftende Gärprozesse schlecht eingesackter Lebensmittelreste der anliegenden Gastronomie. Autos lärmen sich den Weg frei in die Tiefgarage. Hotelpersonal hockt schmauchend auf dem Kantstein. Männer mit Harndrang lehnen an Hauswänden. Hinter vergitterten Fenstern glüht ein warmes Licht.

Dort, wo einst Bilder gemalt, Rahmen getischlert wurden und Bremens Wett-Junkies ihr Geld verzockten, residiert seit zehn Jahren das Studio 13 Theaterinstitut. Regisseur Markus Herlyn hat seither rund 200 professionelle Bühnenfreaks und Ausbildungssuchende aus dem ganzen Bundesgebiet für Aufnahmeprüfungen an Schauspielschulen, Agenturen und Theatern vorbereitet. Sein berühmtester Lehrling: Jan Bosse. Er inszeniert heute an den führenden deutschsprachigen Bühnen.

Ein fast leerer Saal, warmes Licht und Akkordeon-Melancholie. An die Wände geparktes Gestühl. Eine Frau steht auf: gierig große Augen, fahrige Bewegungen. So überbetont fahrig, dass die gestischen Zeichen viel lauter sind als die sprachlichen. Unsicherheit im Doppelpack. Einerseits gespielt. „Ich mache das hier nur meinem Freund zuliebe. Was sagt man denn hier so.“ Andererseits durchlebt. Nach zwei Jahren Proben sich einem fremden Publikum aussetzen. Es fehlt noch der Schritt, die angelernte Körpersprache mit der sauberen Artikulation zu einer organischen Rollengestaltung zu verbinden. Anfängerfehler. Denn Britta Dümpelmann ist Kunstgeschichtsstudentin aus Hamburg. Und eine der begabtesten TeilnehmerInnen von Herlyns Jubiläumskurs.

Seit Herbst 2002 trifft sich das achtköpfige „Ensemble der Autoren“ abends oder an Wochenenden, um Schauspieltechniken (Stanislawski, Grotowski) zu erlernen. Das erste kollektiv erarbeitete Stück heißt „splitter faser nacht“. Durchaus autobiografisch setzt sich das Ensemble mit dem ersten Zucken der Midlife Crisis bei der Generation 30+ auseinander. Gescheitert sind alle auf andere Art: kinderlos, arbeitslos, partnerlos, perspektivlos, pleite. Fröhlich kompensiert wird dies mit Frauenhass, Karrieremachen, Prostitution, Partys. Ein Radkurier meint: „Ich hab da auch noch andere Ideen.“

„Die Konfrontation mit dem Zuschauer ist nur Nebenprodukt“, erklärt Herlyn. Es gehe darum, die Arbeitsteilung am Theater aufzuheben. „Schauspieler sind gleichzeitig auch Regisseur und Autor.“ Herlyns Aufgabe beschränkt sich, „als Vertreter der Zuschauer“, aufs Koordinieren und Sortieren der mimisch-gestischen, sprachlichen und szenischen Materialsammlungen.

Der Theaterpädagoge erklärt sein Konzept als Reaktion auf „die immer individualistischere Gesellschaft“. Dagegen möchte er vermitteln, wie sich „eine Gruppe als Gemeinschaft erfahren kann“. Was nicht im Trend zu liegen scheint. „Zu wenig Anmeldungen“, beklagt Herlyn. Und auch das „Ensemble der Autoren“ hat für die zweijährige Ausbildung nur 300 Euro pro Kopf bezahlt. Um die künstlerische Arbeit finanzieren zu können, gibt der Theaterleiter landauf, landab Seminare. Reicht trotzdem nicht. „Also bin ich jetzt noch mit einem anderen Business an den Start gegangen“, erzählt Herlyn. Insolvenzware vertreibt er im Internet. Sein Firmenname: Collectors Hope. Mit Antiquitäten und Spielzeug wird der Hauptumsatz gemacht.

Herlyns Theatertheorie lautet: „Sich einfühlen in andere als Selbstfindungsprozess“. Das fehle unserer Gesellschaft. Und dem Stadttheater. Seit Brecht setze man auf Mitdenken statt Mitfühlen. Herlyn sieht in der Verweigerung von Empathie und Identifikation die Angst, etwas auf emotionalem Wege über das eigene Leben zu erfahren. Wider die Angst funktioniere das winzige Studio 13 als utopischer Entwurf. Herlyn: „Das Theater der Zukunft braucht die Zuschauer nicht mehr. Die Darsteller sind selbst die Zuschauer der anderen. Jeder lernt von jedem.“ Dieses „Naturschutzgebiet“ am Breitenweg 13 will Herlyn unbedingt erhalten – und mit dem „Ensemble der Autoren“ auch nach Ausbildungsende weitere Stücke zur Uraufführung bringen. Semiprofessionell. Die Mitglieder haben sich bereits alle entschieden, ihren Brotberuf (Grafikerin, Hausfrau, Lehrerin, IT-Manager, etc.) beizubehalten und die Schauspielerei weiterhin nur als Hobby zu betreiben.

Aktuell arbeitet Herlyn mit Mimen des insolventen Waldau Theaters. Für die Verdener Domfestspiele wurden sie als „Ladenfüller“ gegen die Leerstände an der Einkaufsmeile der Aller-Metropole engagiert, um Jean-Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ einzustudieren. Herlyn: „Die Darsteller leben jetzt richtig auf, da seit Jahren erstmals wieder ihre Kreativität gefragt ist.“ Und sie nicht mehr nur als Instrument eines rigiden Regiewillens zu funktionieren hätten, wie es am Waldau üblich gewesen sei. Premiere der Produktion soll im Oktober in einem leer stehenden Möbelhaus sein. fis

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