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Archiv-Artikel

Teures Gas und vergnügliche Reisen

Kölner Staatsanwälte ermitteln gegen Kommunalpolitiker, weil sie sich von ihren Gaslieferanten Eon oder Thyssengas zu Reisen einladen ließen. Die regionalen Versorger sollten möglichst auch Journalisten mitnehmen, damit die positiv berichten

AUS KÖLN PASCAL BEUCKER UND FRANK ÜBERALL

Die Aufregung ist groß in den Rathäusern an Rhein und Ruhr. Die Kölner Staatsanwaltschaft hat 159 Kommunalpolitiker und Manager mit Ermittlungsverfahren überzogen. Eine eigene Sonderkommission „Gas“ der Kölner Kripo kümmert sich um die Aufsichtsratsreisen 28 regionaler Gasversorger nach Amsterdam, Barcelona, Rom, Brügge, St. Petersburg oder ins Elsass.

Eon Ruhrgas und die RWE-Tochter Thyssengas haben den Mandatsträgern die Reisen bezahlt. Die kommunalen Versorger kaufen ihr Gas bei einem der beiden Konzerne oder beiden ein. Die Reisen sollen überwiegend touristischen Charakter gehabt haben, vermutet die Staatsanwaltschaft. Die Straftatbestände: Vorteilsgewährung beziehungsweise Vorteilsnahme. Auch ähnlich gelagerte Reisen von 50 Lokalpolitikern in Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland haben Ermittler inzwischen im Visier.

Eon weist die Vorwürfe zurück. So rechtfertigte der Essener Konzern in einem Brief an seine regionalen Stadtwerke-Kunden die Organisation und Bezahlung der Reisen. Man habe stets ein „straffes Programm“ gehabt, von Tourismus könne keine Rede sein. Der „Verdacht der Vorteilsgewährung“ sei „nicht begründet“. Trotzdem, kündigte ein Eon-Sprecher an, würden die Reiseangebote erst mal aufgegeben.

Ausgelöst wurden die Nachforschungen durch eine anonyme Strafanzeige. Sie basierte auf dem Bericht einer Lokalzeitung über einen bevorstehenden Trip: Mitglieder von Verwaltungsrat und Gesellschafterversammlung der Stadtwerke Burscheid reisten auf Eon-Einladung zur Gasplattform „Sleipner“ ins norwegische Meer. Die folgenden Ermittlungen lösten eine Lawine aus. Nun interessierten sich die Staatsanwälte generell für die Reiseunternehmungen von Eon – und stießen auch auf die Aktivitäten von Thyssengas. „Die Razzien haben bereits im Juni und September vergangenen Jahres stattgefunden“, sagte Günther Feld, Sprecher der Kölner Staatsanwaltschaft der taz.

Auch kommunale und regionale Unternehmen wie die Bergische Energie- und Wasser-GmbH Wipperfürth sahen sich die Ermittler genauer an. Eon hatte eine angebliche „gastechnische Informationsfahrt“ nach Amsterdam unterstützt. So kam eine Fahrt zur anderen: Bei den Stadtwerken in Essen ging es nach Barcelona, bei den Troisdorfer Stadtwerken ins Elsass und die Euskirchener Regionalgas lud Kommunalpolitiker, Aufsichtsräte und Gesellschafter nach St. Petersburg ein. Ermittelt wird inzwischen auch gegen Politiker aus Leverkusen, Siegburg, Bad Honnef, Dormagen, Langenfeld, dem Rhein-Erft Kreis und dem Oberbergischen Kreis sowie gegen mehrere Geschäftsführer örtlicher Gasversorger sowie fünf Eon-Beschäftigte.

Viele der Betroffenen hätten es besser wissen können: So lehnte Bad Honnefs Bürgermeisterin Wally Feiden (SPD) ihre Teilnahme an einer Bohrinselbesichtigung in Norwegen ab und empfahl dies auch ihren Ratskollegen. Feiden hatte die Eon-Offerte 2005 juristisch mit der geltenden Korruptionsgesetzgebung abgleichen lassen und danach als „Grenzfall gesehen“. In Neuss lehnten Ratsmitglieder von Grünen und FDP sowie der SPD-Ratsfraktionschef 2003 eine Barcelona-Reise wegen möglicher Anrüchigkeiten ab. Und in Dormagen sorgte eine Tour nach Amsterdam, zu der auch die Ehefrauen eingeladen waren, 2004 für Streit. Allerdings fehlte nicht nur manchem Politiker die Sensibilität: Wie die taz aus Justizkreisen erfuhr, waren die regionalen Gasversorger gehalten, auch Lokaljournalisten an den Reisen teilnehmen zu lassen – damit Jubelartikel erscheinen und die Fahrtenfreudigkeit der Politiker nicht kritisiert wird. Die Strategie ging vielerorts auf.

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