Teure Aids-Prophylaxe: Ein blaues Wunder
Das in den USA neu zugelassene Aidspräventionsmedikament Truvada wird in Afrika bereits eingesetzt – und stößt auf Skepsis. Der Hauptgrund: Es ist zu teuer.
NAIROBI taz | Es wird als neues Wundermittel im Kampf gegen Aids gepriesen: Truvada, eine blaue Pille, die den Ausbruch der Immunschwächekrankheit in Trägern des HI-Virus verhindern und sogar die Ausbreitung der HIV-Infektion selbst bremsen soll. Diese Woche, pünktlich zur Weltaidskonferenz in Washington, wurde das Medikament in den USA zugelassen.
Die Erfolgsmeldungen zu Truvada beruhen auf Studien, die unter Leitung des Forschungszentrums für internationale klinische Studien der Universität Washington in mehreren afrikanischen Ländern durchgeführt worden sind.
In Kenia und Uganda zeigte sich, dass die vorbeugende Einnahme von Truvada das Risiko der Ansteckung deutlich vermindert, und zwar um 75 Prozent. In Botswana, dem Land mit der höchsten HIV-Infektionsrate der Welt, sank die Infektionsgefahr um 63 Prozent.
Die Ergebnisse können als gesichert gelten. Knapp 4.800 heterosexuelle Paare, von denen jeweils ein Partner HIV-positiv war, beteiligten sich an den Studien in Kenia und Uganda. Die „negativen“ Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip in drei Gruppen eingeteilt, von denen eine Truvada bekam, eine andere nur einen Teil der Wirkstoffkombination, nämlich Tenofovir, die dritte Placebos.
Vom 22. bis 27. Juli tagt in Washington/DC die Welt-Aids-Konferenz. Es ist die erste Aids-Konferenz in den USA seit über 20 Jahren, weil erst 2010 ein seit 1987 bestehendes Einreiseverbot für HIV-Infizierte aufgehoben wurde.
Hauptthemen: Die Finanzierung der Aidsbekämpfung sowie neue Forschungsergebnisse.
Erfolge: Auf den Gebieten der Impfung und Prävention sind den Experten zufolge große Fortschritte erzielt worden. Auch die Behandlung von Kranken wird effektiver: 2011 starben laut UNO noch 1,7 Millionen Menschen an Aids; vor wenigen Jahren waren es noch jährlich weit über zwei Millionen.
Probleme: Die zunehmende Resistenz gegen HIV-Medikamente und steigende Infektionszahlen in Gebieten außerhalb der traditionellen afrikanischen Kerngebiete von Aids bereiten große Sorgen. Auch die Eurokrise beunruhigt die Experten. Sie fürchten, dass reiche Länder ihre finanziellen Versprechen nicht mehr einhalten.
Debatte: Weltweit wurden 2011 laut UNO 16,8 Milliarden Dollar (ca. 13 Milliarden Euro) zum Kampf gegen Aids ausgegeben. Das seien rund 7 Milliarden Dollar weniger als nötig, um das Ziel einer flächendeckenden Versorgung aller Aidsinfizierten mit Medikamenten zu erreichen, heißt es. Manche Geber finanzieren jetzt lieber die prestigeträchtige Impfstoffforschung.
Weder die Teilnehmer noch die Mitarbeiter der Studie wussten, wer in welcher Gruppe ist. Damit sind, wissenschaftlichen Kriterien zufolge, alle Möglichkeiten zur Beeinflussung der Ergebnisse ausgeschlossen.
Allerdings gab es einen Ausreißer, nämlich eine Studie unter kenianischen Frauen. Diese Untersuchung wurde sogar vorzeitig abgebrochen, weil sie offensichtlich erfolglos war: Truvada schützte die Frauen nicht besser als ein Placebo.
„Ich erklärte mir das so, dass die Frauen das Medikament nicht regelmäßig genommen haben“, kommentiert Jared Baeten von der Universität Washington. „Jedenfalls nicht regelmäßig genug, um eine Ansteckung zu verhindern.“
Ein gutes Medikament
Problematisch daran ist, dass sich Resistenzen entwickeln, wenn ein Medikament nicht regelmäßig eingenommen wird. Für Truvada würde das bedeuten, dass es dann auch für die Behandlung ausfiele.
Kenianische Fachleute sehen die Ergebnisse insgesamt trotzdem durchaus positiv – nur nicht für Kenia. „Truvada ist ohne Frage ein gutes Medikament“, sagt der Pharmazeut Kipkerich Koskei, „aber für die Kenianer ist es zu teuer.“
Koskei ist leitender Pharmazeut im Gesundheitsministerium. Dort erstellt er die Listen der Medikamente, deren Verbreitung die kenianische Regierung empfiehlt. Truvada, das in Kenia bereits eingesetzt wird, wird er wohl nicht auf diese Liste setzen.
„Ich glaube, es gibt hier bessere Methoden der Vorbeugung“, sagt er. „Zum Beispiel Kondome.“
Täglich zwei Dollar
Denn eine Truvada-Pille, die täglich genommen werden muss, kostet in Kenia knappe zwei Dollar. „Wenn Sie bedenken, wie viele Menschen bei uns von einem Dollar täglich leben müssen, dann ist Truvada zur Prophylaxe bei uns einfach nicht praktikabel.“
Statt knapp zwei Dollar am Tag für eine Tablette auszugeben, „kaufen die Leute lieber etwas zu essen“. Kondome sind viel billiger: Für einen Dollar gibt es acht Dreierpacks.
Auch in Südafrika sind Zweifel an Truvada geäußert worden: Gerade weil es bei regelmäßiger Einnahme wirksam sei, könnte es ein falsches Gefühl von Sicherheit erzeugen und dazu führen, dass die Menschen andere Präventionsmaßnahmen beispielsweise beim Geschlechtsverkehr vernachlässigen, sagen Aidsaktivisten.
Langzeitwirkung unbekannt
Zudem sind die Langzeitwirkungen des Medikaments noch unerforscht. Südafrikanische Ärzte haben bei Truvada-Patienten Nierenschwäche und Osteoporose festgestellt.
Dass die kenianische Regierung den Einsatz von Truvada subventionieren könnte, hält Koskei im Gesundheitsministerium in Nairobi für völlig ausgeschlossen.
Zurzeit würden rund 90 Prozent der Programme zur Behandlung von HIV-/Aids vom Ausland finanziert, Zusatzausgaben für eine auch im internationalen Maßstab teure Prophylaxe seien da undenkbar.
Asunta Wagura hat ähnliche Bedenken. „Viel zu teuer“, sagt die Mitarbeiterin der Frauenorganisation Kenwa, die Tausenden HIV-positiven Frauen und Kindern in Kenia hilft. „Viele Frauen haben nicht einmal Geld, um ins Krankenhaus zu fahren.“
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