: Terzett zur Zerschlagung der DDR-Wirtschaft
■ Vom Zusammenwirken zwischen Konkurrenz, Berliner Regierung und kurzsichtigen Werktätigen um das chancenreiche und funktionierende Kombinat Polygraph aus den Ost-Angeln in die West-Angeln zu heben / Polygraph könnte mit einer soliden D-Mark-Bilanz in den Juli gehen
Leipzig(taz) - vom 23. bis 25. Mai tagte in Leipzig der diesjährige Bundeskongreß des größten BRD-Verbandes für Managertraining, des Bundes Deutscher Verkaufsförderer und Trainer (BDVT). BDVT-Präsident Strube betonte als wichtigstes Anliegen dieses Kongresses, nicht zu belehren, sondern die Erfahrungen und Probleme der wirtschaftsleitenden Kräfte der DDR kennenzulernen. Daher erwies sich als überraschender Höhepunkt der Auftritt der Vize-Chefin, Sibille Goepel, des Polygraph-Kombinats. Im Gegensatz zu vielen anderen in der DDR konnte sie mit gesundem Selbstbewußtsein über die Erfolge des Kombinates sprechen, das erst zu Jahresbeginn eine USA-Firma für sich erworben hat.
Dieses zu den weltgrößten Herstellern von polygraphischen Maschinen gehörende Unternehmen mit 16.000 Beschäftigten in zehn Betrieben verfügt über volle Auftragsbücher auf Jahre hinaus und über eine erfolgversprechende Entwicklungsstrategie. Die Stellvertreterin des Generaldirektors, Dr. sc. Sibille Goepel, hat langfristig Fachleute aus der BRD beauftragt, die wirtschaftliche Lage des Betriebes nach den Kriterien zu analysieren, die in der BRD herrschen. Dabei wurde die eigene Belegschaft für solche Arbeiten qualifiziert und eine solide Grundlage für eine Eröffnungsbilanz auf D-Mark-Basis im Juli gelegt.
Einen Tag vor dem erfolgreichen Auftritt, bei dem die DDR -Leiterin die meist doch recht würdigen Herren des BVDT zu stürmischem Beifall hinriß, war vom Betriebsrat des Kombinats die Entlassung der Vize-Chefin gefordert worden. Grund: Nach Vorlage der Bilanz hatte sie Lohnerhöhungen in diesem Jahr abgelehnt, weil sonst im Herbst die ersten blauen Briefe herausgegeben werden müßten. Andernfalls aber könnte sich - so Frau Goepel - das Kombinat in neuer Form so stabilisieren, daß Lohnerhöhungen im nächsten Jahre durchgängig erfolgen könnten.
Einen Tag später erfuhr Kombinatsdirektor Eberhard Beschnitt aus der Zeitung, daß er wie alle seine Amtskollegen durch Wirtschaftsminister Pohl seines Amtes enthoben ist. Insider sprechen davon, damit solle der Volksmeinung genüge getan werden, wonach alle, die vor der Wende im der DDR Verantwortung übernommen haben, nicht mehr tragbar sind.
Angesichts der erfolgreichen Polygraph-Strategie bisher, wie es sie in ähnlicher Form auch in anderen Bereichen der DDR-Wirtschaft gibt, vermuten viele der Betroffenen, hinter der Pohl-Entscheidung stünden keineswegs die Interessen der DDR-Bürger, sondern die der großen Konzerne des Auslands. Wenn auch die intakten und gesunden Kombinate zerschlagen sind, werden sie leicht geschluckt werden können. Dabei setzt der Minister natürlich auf Stimmungen in den Belegschaften, die sich - wie im Fall verweigerter Lohnerhöhungen - nicht unbedingt an wirtschaftlicher Vernunft orientieren, sondern kurzfristig und kurzsichtig nur den eigenen Bauch sehen.
Frau Dr. Goepel, deren „Machtmißbrauch“ in der Vergangenheit bereits nach 20 Arbeitsjahren zum Besitz einer Zwei-Zimmer-Neubauwohnung am Leipziger Stadtrand sowie eines Trabant geführt hat, bekennt sich zu ihrer Aufgabe, obwohl ihr allein auf dem BVDT-Kongreß mehrmals viel besser bezahlte Aufgaben in der BRD angeboten wurden. Resignierend sagte sie : „Wenn man mich unbedingt rauswerfen will, dann kann es mir niemand verdenken, wenn ich so ein lukratives Angebot annehme. Es tut mir nur weh, wenn so ein gesundes Unternehmen wie Polygraph zerstört wird, weil Konkurrenten von außen, inkompetente Amtsinhaber und kurzsichtige Kollegen zusammenwirken.“
Man kann auch sagen: Nachdem die Honecker-Clique im Vorjahr zum Massenexodus von Fachleuten aus der DDR geführt hat, sorgt die jetzige Regierung dafür, daß der aus Verantwortungsbewußtsein gebliebene „Rest“ ebenfalls geht. Die bundesdeutschen Nachlaßverwalter werden es zu danken wissen.
Thomas Biskupek
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