Terence Koh über seine Schau "Captain Buddha": "Das Elend, Mensch zu sein"
In der Schirn Kunsthalle in Frankfurt eröffnet heute "Captain Buddha", die Einzelausstellung des kanadischen Künstlers Terence Koh. Ein Gespräch über Lesen und Reisen.
taz: Herr Koh, Ihre Ausstellung in der Schirn Kunsthalle trägt den Namen "Captain Buddha". Was hat es damit auf sich?
Terence Koh: Ich habe Moby Dick gelesen und bin in der ersten Zeile hängen geblieben: "Nennt mich Ismael". Ein wunderschöner Satz. Zur gleichen Zeit hab ich viel mit dem Buddhismus beschäftigt und das Gefühl bekommen, dass es zwischen den beiden Themen eine Verbindung gibt. Die Figur des Captain Ahab fasziniert mich. Seine Suche nach dem weißen Wal. Seine wahnsinnige Willenskraft, die dem Buddhismus und der Vorstellung des Nirwana nahe kommt. Die Idee des Nirwana ist in meinen Augen ein Versuch, der Welt zu entkommen. Denn Mensch zu sein bedeutet, verzweifelt zu sein. Und das Nirwana ist ein Zustand, in dem man der Verzweiflung entkommt.
Aber entkommt denn Ahab jemals der Verzweiflung?
Nein. Und ich glaube auch nicht, dass das möglich ist. Darum geht es doch in dem Buch. Ahab stirbt an dem Versuch, zu entkommen. Nur Ismael überlebt, nachdem Moby Dick das Boot zerstört. Er rettet sich in einem Sarg vor dem Ertrinken. Er kommt zwar davon, aber auch er kann seinem sterblichen Selbst nicht entfliehen.
Wer steht Ihnen näher, Ahab oder Ismael, der Ich-Erzähler?
Ich bin Ahab. Diesmal wollte ich mich in die Sache selbst stürzen. Man würde annehmen, dass Ismaels Rolle als außenstehender Beobachter für einen Künstler prädestiniert ist. Aber Ahab ist wesentlich aufregender, weil er durch diese Höllenqualen geht. Ismael zu sein, ist gottgleich. Er ist allwissend. Er steht nicht unter dem Drang, der Welt, in der er lebt, entfliehen zu müssen. Ahab hingegen ergibt sich komplett dem Elend, Mensch zu sein.
Für einen Europäer liegen Welten zwischen dem uramerikanischen Mythos "Moby Dick" und der östlichen Religion des Buddhismus. Würden Sie als Kanadier chinesischer Abstammung sagen, dass diese zwei Welten für keinen Widerspruch darstellen?
Ich bin methodistisch erzogen worden und in eine christliche Schule gegangen. Meine Eltern sind Buddhisten. Als Kind bin ich mit ihnen zum Beten in Tempel gegangen. Ich denke aber nicht mehr in solchen Kategorien. Spirituelle Menschen glauben an eine Kraft in sich selbst, religiöse Menschen glauben an ein höheres Wesen, außerhalb ihrer selbst. Ich glaube an nichts von beidem. Aber Sie haben recht, "Moby Dick" ist durch und durch christlich. Und buddhistisch zu sein ist sehr unchristlich.
Wie alle anderen international erfolgreichen Künstler sind Sie ständig auf Reisen. Ein wichtiges Motiv in "Moby Dick".
Als Vorbereitung für die Ausstellung in Frankfurt hatte ich beschlossen, in 1fünfzehn verschiedene Länder zu reisen. Ich dachte mir, Ahab ist ein Reisender, also sollte ich es ihm gleichtun. Um das Gefühl von Freiheit zu verspüren und son Zeug. Ich arbeite sehr intuitiv. Aus den ganzen Ländern wollte ich dann fünfzehn verschiedene Objekte mit zurückbringen und in die Ausstellung einbauen. Nur hatte ich die Objekte schon alle gefunden, bevor ich überhaupt losgereist bin. Damit war die Reise ein wenig überflüssig.
Captain Ahabs Reise ist ja in gewisser Weise auch überflüssig und ziellos. Es wird nie ganz klar: Will er den Wal wirklich fangen?
Ich glaube, Künstler reisen so viel, weil ihr Leben eine 24-stündige Qual ist. Nur wenn ich reise und im Flugzeug sitze, wenn ich nicht in New York im Atelier bin und nicht irgendwo auf der Welt an einer Ausstellung arbeite, dann bin ich für einen Augenblick frei von meinen besessenen Gedanken. Auf Reisen ist man nicht mehr an einem Ort und noch nicht an dem nächsten. Das ist vielleicht die einzige Zeit, in der ich nicht leide. Und es stimmt, Ahab jagt nicht wirklich, er flieht. In gewissem Sinne ist Ahab ein moderner Künstler. Er ist ein Künstler, der die Perfektion im Kunstwerk sucht. Er sucht den weißen Wal, der ihn am Ende umbringt.
Ihre Kunst ist hauptsächlich weiß, wie "Moby Dick".
Ja, alle fragen mich nach dem Weiß. Und um ganz ehrlich zu sein, ich hab keine Ahnung. Die Leute denken immer, das hat mit meiner chinesischen Herkunft zu tun. In der chinesischen Tradition hat Weiß eine ganz andere symbolische Bedeutung als in der westlichen. Man trägt dort Weiß zu Beerdigungen. Es geht mir aber nicht um die Symbolik. Vielleicht mag ich Weiß aus einem praktischen Grund. Man sieht den Dreck. Wir sitzen gerade in einem komplett weißen Raum und man sieht jedes kleine Staubkorn. Ich mag diesen Tabula-rasa-Effekt. Ich mag Weiß, weil man die Risse sieht. Man sieht den Dreck. Man sieht das Leben selbst.
Der Verfall spielt bei Ihnen auch eine wichtige Rolle. Viele Ihrer Arbeiten scheinen die Vergänglichkeit gerade zu zelebrieren.
Meine Lieblingsemotion ist Tristesse. Das französische Wort. Ein Gefühl von Traurigkeit und Fröhlichkeit zugleich. Der Gefühlszustand gefällt mir besser als die Melancholie. Abschied kann etwas sehr Schönes sein. Dennoch habe ich Angst vor dem Tod. Wie alle anderen auch. Wahrscheinlich sogar noch mehr. Ich hab so eine Scheißangst vor dem Sterben. Das war früher nicht so. Ich hasse es, älter zu werden. Vielleicht ist das ein hohles Klischee und vielleicht auch eine zu einfache Antwort. Aber ich glaube, aus diesem Grund mache ich von meinem Körper Abgüsse. Die Hauptarbeit in der Ausstellung in Frankfurt ist eine Skulptur von mir selbst als Buddha. Wieder so ein kläglicher Versuch, dem Schicksal zu entkommen.
Aber wenn Sie solche Angst vor dem Sterben haben, warum inszenieren Sie dann Ihre eigene Beerdigung, wie in Ihrer Ausstellung "Mein Tod, mein Tod" (2005) in Berlin?
Ja, in der Ausstellung habe ich meine eigene Identität getötet und meinen Beerdigungszug inszeniert. Der Grabstein war aus weißem Marzipan. Darauf stand "Terence Koh 1979-2005". Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, was ich gerne für einen Grabstein hätte. Ich beschloss, dass er nicht aus Stein, sondern aus Kuchen sein sollte. Ein Stein, der nach kurzer Zeit zerfällt. Das Gegenteil von dem, was Diktatoren lieben. Das ist vielleicht der bessere Weg, zu sterben. Buddhisten versuchen, nicht am Leben festzuhalten. Das versuche ich auch. Gleichzeitig will ich unsterblich sein. Da sind diese zwei Seiten in mir. Ahab und Buddha.
Und wie steht es mit der Schönheit? Kann Schönheit helfen, mit der Vergänglichkeit umzugehen?
Oh ja, Schönheit ist wichtig. Es ist nichts falsch daran, sich etwas Schönes anzuschauen. Oder noch besser, ein schönes Leben zu haben. Aber wer weiß schon genau, was Schönheit ist. Scheiße kann irgendwie auch schön sein, oder?
Melvilles Roman ist voller Schönheit.
Ja, absolut! Mann denke nur an den Ozean, den Horizont. Oder an Captain Ahab, wie er auf dem Deck steht. Die Sonne geht unter. Aber das Allerschönste ist es, sich den weißen Wal im dunklen Meer vorzustellen. Oder noch besser, Moby Dicks rotes Blut, das in den tiefen dunklen Ozean fließt.
Wird das Blut in dem Roman so genau beschrieben?
Keine Ahnung, ich hab das Buch ja nie gelesen. Wie gesagt, ich bin an der ersten Zeile hängengeblieben.
Und woher kennen Sie dann die Geschichte so genau?
Keine Ahnung. Vielleicht hab ich das Buch irgendwann mal in der Schule gelesen. Oder als Film gesehen. Jeder kennt doch "Moby Dick".
Was ist denn so besonders an dem ersten Satz, dass Sie über den nicht hinweggekommen sind?
Koh beginnt leise und zaghaft "Nennt mich Ismael" zu singen. Das ist so wunderschön und im Endeffekt so selbstbezogen. Das ist so wie: Nennt mich Koh. Das ist mein Name und ich weiß, dass ich sterben werde. Die Geschichte, die ich euch erzähle, handelt von meinem Versuch, zu entfliehen. Aber sterben muss ich trotzdem. INTERVIEW JENNY SCHLENZKA
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld