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■ TennisStich verliert und hat Halluzinationen

Melbourne (taz) – Drei Herren- Halbfinalspiele bei einem Grand- Slam-Turnier – das hat man seit Erfindung der Zahlen noch nicht gesehen. Gestern war in Melbourne Weltpremiere: neben dem Match zwischen Stefan Edberg und dem Amerikaner Pete Sampras, den bei seiner 6:7, 3:6, 6:7-Niederlage wieder die chronische Knochenhautentzündung an den Schienbeinen plagte, spielten der Elmshorner Michael Stich und US-Baseballkappe Jim Courier gleich zweimal gegeneinander. Begegnung1 fand auf dem Centre Court statt, Courier war klar überlegen, gewann 7:6, 6:4 und 6:2 gegen einen sichtlich resignierenden Deutschen.

Der Titelverteidiger spielte absolut sicher, selbstbewußt zu jedem Zeitpunkt und ohne jede kleinste Schwächeperiode. Gelegentliche sensationelle Passierschläge waren Highlights zwischen einer pausenlosen, entnervenden Konstanz. Courier brachte von der Grundlinie alles zurück, was kam, und war Sieger bei fast allen langen Ballwechseln. Michael Stich verlor dann mit Regelmäßigkeit die Geduld und schon wurde das Netz höher oder der Platz ein Stück zu kurz.

Im Gegensatz zu Stich, dessen Selbstanklagen und Schicksalsbeschwörungen mit der Zeit besorgniserregend zunahmen, war Courier stets die Ruhe selbst: Keinerlei Zaudern, kein Kopfschütteln, stets ein Monolith an Selbstbewußtsein. Wenn er an einen Ball nicht drankommt, läßt er ihn eben gehen. Das spart Kräfte und gibt dem Gegner nicht den Triumph, einen so richtig ausgespielt zu haben. Motto: Solange ich den anderen psychisch schon nicht kleinkriege, gebe ich ihm auch nie die Chance, sich aufzubauen. Die Matchstatistik untermauerte Stichs Unterlegenheit. Nur jeden zweiten seiner donnernden ersten Aufschläge bekam er ins Feld, neun Doppelfehler kamen hinzu und 42 Fehler ohne Not gegenüber nur zehn von Courier.

Doch Michael Stich hatte ein anderes Spiel gesehen, eben das dritte dieses Freitags. Das Ergebnis trüge, meinte er, gebe das Match nicht recht wieder. Sechsmal bemühte er das Wort Glück, um Couriers Sieg zu erklären. Ansonsten sei die Sonne zu seinem Nachteil gewesen, denn er werfe beim Aufschlag den Ball höher als Courier und so habe ihn der große gelbe Ball mehr geblendet als das kappengeschützte Gegenüber. Anders als die meisten Turnierbeobachter, die die 93er Melbourner Vorstellung des Weltranglistenersten (noch kein Satzverlust) als allen Konkurrenten hoch überlegen betrachten, sieht Stich die Qualitäten Couriers so: „30 von 50 Bällen trifft der Jim doch nur mit dem Schlägerrahmen. Der ömmelt den Ball immer übers Netz.“

Michael Stich war zwar „sehr enttäuscht über mein Ausscheiden“, mit seiner eigenen Leistung aber „zufrieden“. Nur bei einigen „wichtigen Bällen war ich nicht hundertprozentig da“. Und „ein, zwei Bälle habe ich verfehlt, die ich nicht verschießen durfte“. Die Zusammenfassung seiner etwas bizarren Spielanalyse: „Die ersten beiden Sätze hätten auch umgekehrt ausgehen können.“ Zumindest damit lag Stich richtig. Statt 6:7 und 4:6 hätte es auch 4:6 und 6:7 lauten können.

Das Endspiel am Sonntag heißt also Courier gegen Edberg – oder umgekehrt.Bernd Müllender

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