Tempelhof-Nachnutzung: Die Hinwendung zum Raum
Der Umbau des Flugfeldes in Tempelhof soll zum Maß für kreative Stadtentwicklung werden, fordert Ingeborg Junge-Reyer. Ein Holländer will einen Berg.
Am 27. April dürfen die Berliner bei einem Volksentscheid über den Widerruf der Schließung von Tempelhof abstimmen. Der Senat will den Flughafen Ende Oktober dichtmachen - und hat angekündigt, ein Votum für den Flughafen zu ignorieren. Auf dessen Gelände sollen Wohn- und Gewerberäume sowie ein großer Park entstehen. Die Planung wird derzeit im Dialog mit Bürgern und Experten erörtert.
Ayers Rock. Der rote Felsbrocken aus der australischen Wüste liegt quer über dem Flugfeld von Tempelhof. Bart Brands hat die beiden Bilder ineinander kopiert. Um selbst zu sehen, was passiert. Und um den versammelten Planern, Politikern und Verwaltungsmitarbeitern zu zeigen, was passieren könnte auf dieser Brache, die der Flughafen in Kürze hinterlassen soll. "Alle schwärmen von dieser beeindruckenden Weite", sagt der Landschaftsarchitekt aus Hilversum und blickt durch die Panoramafenster des einstigen Flughafenrestaurants. "Aber ich bin Holländer, für mich ist das nichts Besonderes." Er schwärmt von Bergen. Zur Not von künstlichen.
Bart Brands Berg ist nur eine Anregung. Der echte Ayers Rock würde mit einer Länge von drei Kilometern selbst die Ausmaße der gigantisch wirkenden Tempelhofer Wiese übersteigen. Aber Brands Vorschlag bleibt leider der einzige an diesem an sich informativen Mittwochnachmittag. "Raum für kreative Stadtentwicklung" hatte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung das Expertenhearing über die Zukunft des Tempelhofer Feldes überschrieben.
Die zuständige Senatorin legt gleich zum Auftakt die Latte auf die höchstmögliche Stufe. "Tempelhof muss zum Maß aller Dinge werden", fordert Ingeborg Junge-Reyer (SPD). "Wir wollen eine internationale Bauausstellung mit den besten Architekten." Neue Wohnformen für unterschiedliche Lebensformen. Flexible Planung über einen langen Zeitraum. Kultur als Standortfaktor. Und den Beweis, dass Ökologie atemberaubend sein kann. All das will Junge-Reyer auf der "Tempelhofer Freiheit" verwirklicht sehen. Und mit alldem liegt sie weit vorn in der stadtentwicklungspolitischen Debatte.
Dass sich solch hochgesteckten Ziele verwirklichen lassen, berichten die geladenen Experten aus westeuropäischen Nachbarländern. So schwärmt der Schweizer Architekt Patrick Gmür von einer der letzten möglichen Innovationen im Wohnungsbau, die er in Zürich verwirklicht hat: 25 Quadratmeter große Balkone, auf denen man mit dem Kinderwagen eine Schlaufe fahren könne. Ansonsten müsse zeitgemäße Architektur vor allem die veränderten Bedürfnisse der Bewohner berücksichtigen. "Nur noch 20 Prozent leben in klassischen Familien. Und davon werden sich 50 Prozent noch trennen", rechnet Gmür vor. Deshalb dürfe man nicht nur für Familien bauen, sondern müsse auch preiswerte Wohnungen für junge Erstmieter oder Apartments mit "Jamie-Oliver-Küche" planen - für Alleinstehende, die allenfalls einmal pro Woche kochen, dann aber als Show für geladene Freunde.
Sein Kopenhagener Kollege Carsten Lorenzen, der am Bau der Hamburger Hafencity beteiligt ist, betont hingegen den Wert von Äußerlichkeiten. Er forderte "das ablesbare Haus", das sich durch Prägnanz in Form und Fassade von den Nachbarschaft abhebt und so Identität schafft. Die Londoner Stadtplanerin Kathryn Firth berichtet von der Umnutzung eines Industriegeländes bei Paris. Und der holländische Architekt Kees Christiaanse warnt vor einer funktionalen Segregation innerstädtischer Straßen. Er fordert nicht nur technologische, sondern vor allem soziale Nachhaltigkeit beim Städtebau. Die lasse sich nur durch ein antihierarchisches Netz öffentlicher Wege und eine Mischnutzung in den Stadtvierteln verwirklichen.
Doch trotz des anschaulichen Parforceritts durch die Wunderwelt der Stadtplanung wird im Publikum die Frage laut, was das denn alles mit Tempelhof zu tun habe. "Es geht heute nicht darum, Modelle von anderen Orten zu übernehmen, sondern unsere Pläne daran zu messen", betont die Senatorin. Eine erste Leitlinie hatte Junge-Reyer Anfang März vorgestellt: Um einen gigantischen Park in der Mitte gruppieren sich innovatives Wohnen im Norden, ein klassisches Wohnviertel an der Grenze zu Neukölln und Raum für Zukunftstechnologie im Süden. Das Flughafengebäude soll die Kreativbranche bevölkern.
"Das ist klar, einfach, gut und verständlich", urteilt Patrick Gmür. "Das ist business as usual", schimpft der Architekturprofessor Matthias Sauerbruch im Publikum. Er fordert mehr Mut und Radikalität bei der Planung. Auf dem Podium bezweifelt ausgerechnet Martin Heller, dass die Ansiedlung von Creative Industries in dem weitgestreckten Bau funktionieren könne. Heller, Intendant des Projektes Kulturhauptstadt 2009 im österreichischen Linz, hatte zuvor als Fachmann allgemein über die Frage "Wie wird ein Standort kreativ?" referiert. Konkret zu Tempelhof aber fällt dem Kulturunternehmer nichts ein: "Ich kapituliere vor der Größe des Geländes."
Der Landschaftsarchitekt Bart Brands setzt daher auf einen anderen Akteur: die Bevölkerung. Das Areal müsse schnell geöffnet werden. Aus der Nutzung der Anwohner könne man dann langsam Schritt für Schritt Pläne für den Park entwickeln. Und man müsse fragen, was der Stadt fehle. Eine Baumschule? Ein Obstgarten zum Selberpflücken? Ein Aussichtspunkt?
Der würde ganz nebenbei die laut Christiaanse "kräftige Anwesenheit eines Gebäudes mit Funktionskrise" etwas in den Schatten stellen. Es muss ja nicht gleich eine Kopie von Ayers Rock sein. Brands empfiehlt Recycling. Das sei billig. Die Anhäufung von Schrott und Müll, ein Trümmerberg. Damit kennt Berlin sich aus.
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