: Telefone: Polizei macht mobil
Nächtliche Razzia auf Harburger Flüchtlings-Schiff wegen „betrügerisch erlangtem Handy“ / Bewohner blockieren Straße ■ Von Stefanie Winter
In der Nacht zu Montag und nicht zum ersten Mal ist es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Bewohnern der Flüchtlingswohnschiffe in Harburg und der Polizei gekommen. Der Tod eines 16jährigen Afrikaners gab im Juni den Anlaß; gestern war es, so nennt es die Polizei, der „Verdacht einer Straftat“. Und vor allem die sich anschließende Durchsuchung einer Unterkunft auf den Schiffen, „um Beweismittel sicherzustellen“. Nachts um drei.
Bei einem 19jährigen Liberianer hatte die Polizei zwei Stunden zuvor ein „vermutlich durch Betrug erlangtes“ Handy gefunden. Weil der 19jährige keinen Eigentumsnachweis erbringen konnte und so etwas öfter vorkommt und „die dann unentgeltlich telefonieren können, bis die Chipkarte gesperrt wird“, sollte auf den Schiffen umgehend nach Beweisen und weiteren Handys gesucht werden. „Wir haben denen gesagt, sie sollen morgens wiederkommen“, erklärt ein Bewohner. Er frage sich, warum die Polizei wegen ein paar Mobil-Telefonen nachts um drei anrückt. Als der 16jährige Jude A. vor vier Monaten im Ziegelwiesenkanal ertrank, meint er, hätten die sich sehr viel mehr Zeit gelassen.
Viele der Bewohner hatten damals der Polizei die Schuld am Tod des 16jährigen gegeben. Seit dem Unglück, berichtet einer, seien die Beamten nie mehr überraschend auf die Schiffe gekommen. Sie hätten am Tor gewartet und zuerst mit „Prince“ geredet, dem „leader“ der Flüchtlinge. Gestern nicht. Die Bewohner reagierten mit Schreien, Steinwürfen, blockierten die Zufahrtstraße, hinderten die Polizei an der Durchsuchung. Diese Reaktion sei ja wohl natürlich, ist einer der Bewohner überzeugt. „Wir haben geschlafen, und plötzlich sehen wir sie kommen. Niemand hat uns den Grund dafür genannt.“
Um fünf Uhr rückte die Polizei mit 50 Beamten und acht Diensthunden und -führern erneut an. „Beweismittel“ seien aber nicht gefunden worden, sagt der Polizeisprecher. Und daß er nicht wisse, ob einige der Flüchtlinge ganz legal ein Handy besitzen. „Darum kümmern wir uns nicht.“ Daß die Gefahr von Ausschreitungen durch die Bewohner gerade wegen des Todesfalls im Juni sehr groß sei, könne nicht berücksichtigt werden, „wenn sich damit jemand rechtsstaatlichen Maßnahmen entziehen will“.
Der Rechtsstaat ermittelte überdies gegen die Harburger Fraktionsvorsitzende der GAL, Julia Carmesin, wegen übler Nachrede und Verleumdung. Die GAL hatte aufgrund der Vorwürfe der „Floatel“-Bewohner beantragt, eventuelle Fehler der Polizei zu untersuchen. Während noch unklar ist, ob Anklage erhoben wird, sind auf lokalpolitischer Ebene bereits Konsequenzen gezogen worden: Zum „Harburger Ball des Sports“ wurde die GAL-Fraktion nicht eingeladen.
In einem auch von Ortsamtsleiter Peter Sielaff unterzeichneten Brief wird begründet, daß die GAL-Fraktion durch ihre öffentlichen Vorwürfe die „Garanten unserer staatlichen Ordnung“ verletzt habe. Sportorganisationen lebten ja nicht in einem politikfreien Raum, seien Teil des öffentlichen Lebens, förderten Integration. Und sie seien „aber auch schon mißbraucht worden, z. B. von den Nazis oder für gehirnlosen Chauvinismus“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen