Teeniepopstar Justin Bieber: Topfschnitt mit Musik
Der 16-jährige kanadische Popstar Justin Bieber macht seine Fans mit raffinierten Twitter-Nachrichten verrückt – und die würden sogar für ihn töten. Gruselig? Nur ein bisschen.
BERLIN taz | Auch in Deutschland ist das Bieber-Fieber ausgebrochen. Anders als die Schweinegrippe überträgt es sich über Augen und Ohren ausschließlich auf Teenager. Akut ansteckungsgefährdet sind die weiblichen unter ihnen. Das Fieber kann bei ihnen zu hysterischen Kreischanfällen und krankhaften Eifersuchtsanfällen führen. Die sechsten Klassen des Landes sind aber auch voll von infizierten Jungs, die ihre Lehrer und Mitschüler nicht mehr sehen, ihren langen Bieber-Pony dafür umso häufiger zurückwerfen können. Sogar Todesdrohungen wurden schon von Infizierten ausgestoßen.
Nervös geworden? Angst um die eigene Brut oder vor dem, zu was sie fähig wäre? Weist Ihr Kind möglicherweise oben aufgeführte Symptome auf und hört von morgens bis abends immer die gleiche CD, auf der ein Sängerknabe über wässrige R&B-Beats trällert? Wurden im Kinderzimmer plötzlich Prinzessin Lillifee und Hello Kitty durch Poster eines Milchbubis mit grotesk bemüht in die Stirn und dann schwungvoll zur Seite gekämmten Haaren ersetzt? Sieht Ihr Sohn Sie seit einiger Zeit nur noch unter einer In-die-Stirn-gezupften-Pony-Gardine heraus an und lässt sich partout nicht mehr durchs Haar wuscheln? Ziert das lebensgroße Poster im Kinderzimmer der Schriftzug "Justin Bieber"?
Dann ist Ihr Mündel im Bieber-Fieber und möglicherweise zu allem fähig. Als der nunmehr 16-jährige kanadische Sänger Justin Bieber, Keimzelle des gleichnamigen Virus, unlängst bei einem Promi-Dinner im Weißen Haus auf das 13 Jahre ältere Sternchen Kim Kardashian traf, ließ er sich mit ihr ablichten. Dieses Bild postete er auf seiner viel frequentierten Website mit einer Bildunterzeile, in der das Wort "Freundin" fiel. Daraufhin rasteten einige seiner infizierten weiblichen Fans aus und twitterten der potenziellen Konkurrentin Morddrohungen.
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Selbst vor Mama Bieber machen die sogenannten Biebettes nicht halt: Ende April wurde die Mutter des Shootingstars in Neuseeland am Flughafen von kreischenden Fans zu Boden gestoßen. Und in Australien haben bei einem Konzert in Sidney sich diese gegenseitig im hysterischen Gedränge verletzt, sodass das Konzert nicht wie geplant am Hafen stattfinden konnte.
Einzig Justin alias "The Biebs", wie ihn seine Fans zärtlich nennen, kann noch zu seinen Fans durchdringen. Und er tut es, via Facebook und Twitter - mehrmals täglich. Außer er wird wie vergangene Woche von Hackern daran gehindert.
"Meine Damen, beruhigt euch", twitterte er seinen 2,4 Millionen Followern im Netz, nachdem Kardashian ihn ihrerseits von den Morddrohungen seiner Fans über Twitter informiert hatte. Kardashian sei zwar "sehr sexy, aber nur eine Freundin" - also "kein Grund für Drohungen". Lieber sollten sie alle "gemeinsam miteinander rumhängen, Freunde sein und Spaß haben". So läuft das. Ganz so, als wäre Justin einer von ihnen. Teil einer verschworenen Internetgemeinde, in die Erwachsene keinen Zutritt haben.
Und dann twittert er weiter im 15-Minuten-Takt - alles Mögliche aus dem Alltag eines 16-jährigen Teeniestars: Aufnahmen, Auftritte und gepostete Videolinks, die die Fans weiter bei Laune und in Atem halten sollen: "Alles Gute zum Muttertag, ich hab dich lieb, Mama", zum Beispiel. "Toller Artikel über mich im Time-Magazin", "Hab Enrique Iglesias kennengelernt - cooler Typ", "Ich bin so aufgeregt, ich bin nächste Woche bei Oprah".
Wer auch immer Biebers Tweets postet - es ist ein Fulltime-Job, denn schließlich müssen auch seine 3,5 Millionen Fans auf Facebook ständig mit Status-Meldungen versorgt werden. Aber weil er durch das Web 2.0 Teil des täglichen Lebens seiner Fans ist und sie scheinbar an seinem teilhaben, kann er sie auch nach der Hysterie in Neuseeland per Tweet ermahnen: "Ich möchte Autogramme geben und Fotos machen. Aber wenn ihr alle rumschubst, lässt mich die Security nicht. Lasst uns doch bitte in Sicherheit Spaß haben." Oder bei Facebook: "Ich finde es gar nicht lustig, wenn ihr mir meine Kappe klaut und meine Mama umhaut -- wenn ihr Fans seid, bringt mir denselben Respekt entgegen wie ich euch. Ich würde das nie machen!"
Bieber betont in Interviews, die rasende Mädchenmeute wäre ihm in keinster Weise zu viel, alles sei ein großer Spaß. Schließlich haben die Fans ihn mit seinen selbst erstellten Videos auf Youtube entdeckt und zu dem gemacht, was er ist: Der jüngste Künstler mit einem Nr.-1-Album in den USA seit Stevie Wonder. Dafür lohnt es sich auch, den Wohnort von Kanada nach Atlanta zu verlegen.
Nach seinem Debütalbum "My world" ist nun Album Nummer zwei erschienen mit dem bestechend ehrlichen Titel "My World 2.0" - und direkt auf Platz eins der US-Charts eingestiegen. Die Musik ist flacher, eingängiger Pop und R&B, wie er im Hitradio rauf und runter läuft. Der Bieber-Sound ist eine Mischung aus Britney Spears und Usher - wenig überraschend, denn Letzterer ist Biebers Produzent. Seine aktuelle Single heißt "Baby". Wobei dieser Titel, gesungen aus dem Bieber-Mund, so ganz andere Assoziationen hervorruft als bei Usher und anderen R&B-Künstlern, die ebenfalls bei Island Records unter Vertrag sind. Die einen wollen Sex mit einer Frau, die sie "Baby" nennen. Bei Justin Bieber denkt man nur an Fans, die wirklich fast noch Babys sind.
Die Website "Daily Swarm" veröffentlichte im Februar ein Video, in dem eine Mutter ihre drei Jahre alte hysterisch weinende Tochter filmt. Den Schluchzern des Mädchens ist zu entnehmen, dass die Songs von Bieber sie zum Weinen bringen. Sie wünscht sich, Justin Bieber wäre Teil ihrer Familie, damit sie immer bei ihm sein könne. Nichts scheint das Kind trösten zu können, doch dann klingelt das Telefon und sie ist sich sicher: "Das ist Justin Bieber." Das ist Wahn. Das ist Bieber-Fieber.
Justin Bieber, "My World 2,0" (Island/Universal)
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