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■ Tchechisches Gericht bestätigt Enteignungs-DekretDer leere Platz der Politik

Edvard Beneš' Dekret vom 25. Oktober 1945, das die Konfiskation feindlichen Vermögens auf dem Boden der wiederhergestellten Tschechoslowakei anordnete, basierte auf der Kollektivschuldthese. Formal richtete es sich gegen keine bestimmte Volksgruppe, praktisch traf es unterschiedslos alle Deutschen (und die meisten Ungarn) tschechoslowakischer Nationalität. Es war ungerecht, aber an seiner Legalität kann nicht ernsthaft gezweifelt werden. War die Enteignung doch Bestandteil des „odsun“, des „Abschubs“ der Sudetendeutschen, einer Aktion, die von den Siegermächten im Grundsatz gebilligt worden war, und damit gegenüber Deutschland (das bedingungslos kapituliert hatte) rechtsverbindlich. Das Verfassungsgericht der tschechischen Republik hat, indem es den Anspruch des tschechischen Bürgers deutscher Nationalität Rudolf Dreithaler auf Restitution seines Eigentums zurückwies, diese Rechtsauffassung bestätigt und Beneš' Dekret für „legitim“ erklärt. Es sei Baustein gewesen bei der Wiedererrichtung der verfassungsmäßigen Ordnung.

Die Klage wie deren Zurückweisung führt unmittelbar in den traumatisierten tschechisch-sudetendeutschen Komplex und bezeichnet einen neuen historischen Tiefstand in den Beziehungen zwischen Deutschland und der tschechischen Republik. Keineswegs handelt es sich um eine „innertschechische Angelegenheit“, denn Dreithalers Aktion wird nur verständlich auf dem Hintergrund der Vermögensansprüche, die die Sudetendeutsche Landsmannschaft als angeblich authentische Interessenvertretung der Böhmendeutschen erhebt. Und hinter diesen Ansprüchen steht, in europäische Phraseologie gekleidet, die alte, im Kern revanchistische Grundposition.

Ohne Vorbereitung, ohne Zustimmung seiner Landsleute hatte Václav Havel nach der samtenen Revolution den Verband von der schwärenden Wunde gerissen, den „Abschub“ mit seinem richtigen Wort, „Vertreibung“, bezeichnet und zu einem Neuanfang aufgerufen. Statt diese Initiative mit beiden Händen aufzugreifen, überließ die Bundesregierung ihre „Behandlung“ der sudetendeutschen Landsmannschaft und der bayerischen Staatsregierung – mit den absehbaren Folgen. Zur Feigheit unserer Regierung gesellte sich Erbärmlichkeit. Denn die Frage der Entschädigung der Opfer deutscher Okkupation wurde an die „Restitutionsfrage“ gekoppelt, als ob nicht zuallererst wir es wären, die uns diese (sowieso nur noch symbolische) Geste schuldig sind.

Kann irgendein deutscher Politiker im Ernst glauben, eine Politik des Dialogs mit der tschechischen Gesellschaft könne Früchte tragen, solange die Entschädigungsforderungen der sudetendeutschen Landsmannschaft von unserer Regierung nicht mit eindeutigen Worten entmutigt werden? Jede Äußerung Neubauers, des Vorsitzenden der sudetendeutschen Landsmanschaft, treibt den Nationalisten und nationalistischen Kommunisten in Tschechien neuen Anhang zu, isoliert die selbstkritischen, zur Verständigung bereiten Geister. „Gebt mir hundert Jahre, dann wird das Problem gelöst sein“ – mit diesem fiktiven Ausspruch ironisierten sudetendeutsche Politiker die hinhaltende, nur zum Schein die Nationalitätenrechte wahrende Politik Beneš' in den 30er Jahren. Die Nationalitätenfrage ist heute in Tschechien gelöst, aber für die Entwicklung der deutsch-tschechischen Völkerfreundschaft stehen auch heute keine hundert Jahre zur Verfügung. Christian Semler

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