Taz deckt Glühbirnenverschwörung auf: Verehrt, verraten und verglüht
Tausend Stunden und mehr nicht! So dekretierte einst das Elektrokartell die Lebensspanne der Glühbirne. Ein Frevel. Denn die Lichtspenderin ist in Uterusform gegossene Perfektion.
„Was fürn Leben, diese Glühbirne – wenn sie nur sprechen könnte und davon erzählen … Tja, wenn's sonst nichts ist: Sie spricht.“ So beginnt Thomas Pynchons Geschichte über die unsterbliche Glühbirne „Byron“, die den Häschern des Elektrokartells Phoebus S.A. entkommt und einen Aufstand der Glühbirnen gegen die Begrenzung ihrer Lebensdauer auf 1.000 Stunden plant.
Den Aufstand hatte sich Pynchon ausgedacht, die Begrenzung aber war real. 1926, „ausgerechnet zum Fest des Lichts“, wie sich der Devianzforscher Rolf Schwendter viel später empörte, hatte das Kartell die Lebensdauer aller Glühbirnen von 2.000 auf 1.000 Stunden verkürzt. Alle Kartellmitglieder mussten fortan für jede verkaufte Glühbirne, die 50, 100 oder sogar 200 Stunden länger brannte als die vereinbarten 1.000 Stunden, eine Strafe zahlen. Bis zu 200 Stunden Brenndauer weniger blieben hingegen straffrei.
Wie weit der Arm des Glühbirnenkartells reichte, kann man den zumeist mit dem Vermerk „geheim“ versehenen Akten der Phoebus S.A. entnehmen, die heute im Berliner Landesarchiv liegen. In einem ihrer Beschlüsse heißt es: „Tokio Electric Company darf Lampen nach China exportieren, aber nur solche, die 1.000 Stunden halten.“ Es sollte bis zum Sieg des Kommunismus dauern, ehe chinesische Fabriken ressourcenschonende Glühbirnen herstellten, die 5.000 Stunden brannten.
Im Hinblick auf die Werbung fasste das Glühbirnenkartell im Jahr 1929 folgenden Beschluss: „Die Propaganda soll dahin gehen, dass der Eindruck entsteht, es gäbe eine Konkurrenz zwischen den Lampen-Fabriken.“ Und: „Die Wahl der Mittel bleibt jedem Mitglied vorbehalten, da es wünschenswert erscheint, dass keine Einheitlichkeit nach außen besteht.“
Noch vor der Gründung des Elektrokartells war dies ein Streitpunkt gewesen, an dem die 1919 von Rathenau und Siemens gemeinsam gegründete Aktiengesellschaft Osram erst einmal scheiterte. Emil Rathenau hatte 1883 das Glühbirnenpatent von Thomas Alva Edison erworben, sein Sohn Walther Rathenau wollte dann auf amerikanische Art mit Werbung das „Bedürfnis“ nach der neuen elektrischen Beleuchtung wecken. Dazu illuminierte er eine Theateraufführung in München und das Café Bauer in Berlin.
Werner von Siemens hingegen wollte die Elektrifizierung von oben durchsetzen – durch Einflussnahme auf den Staat, mit dem sich der Konzern von Beginn an verband. Rathenau zog sich aus Osram zurück, blieb aber mit der Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) im Kartell vertreten. Als Außenminister der Weimarer Republik gelang es ihm mit dem Vertrag von Rapallo, im kommunistisch gewordenen Russland wieder Geschäfte zu machen; sein AEG-Konzern diente dabei als „Milchbruder“ der Moskauer Fabrik Elektrosawod.
Von Beginn an war die Glühbirne ein Symbol für Aufklärung, Fortschritt und Erfindungsgeist; mit Lenins Definition des Kommunismus als „Elektrifizierung plus Sowjetmacht“ wurde sie auch zu einem Symbol des Sozialismus. Wo dieser Boden gewann, wurde es hell! „Die Glühbirne im schattenarm gewordenen Zimmer hat die Anfechtungen des Nachtgrauens weit gründlicher geheilt als Voltaire“, schrieb Ernst Bloch, und der italienische Futurist F. T. Marinetti gestand: „Ich bete jede Nacht zu meiner Glühbirne“. Er war einer der Ersten, die die Glühbirne nicht bloß unter funktionalen Aspekten betrachteten, sondern sich an einer Metaphysik der Glühbirne versuchten.
Glühbirnen haben eine „Seele“. So nennt man ihren Wolframfaden, seitdem der russische Forscher Alexander Gurwitsch herausfand, dass jede lebende Zelle Photonen emittiert und der Zelltod, das Erlischen allen Lebens, dem Ausknipsen einer Glühbirne ähnelt. Die Birne hat zudem ein Geschlecht: Sie ist weiblich – erkennbar an ihrer „Uterusform“, wie die Kulturwissenschaftlerin Gerburg Treusch-Dieter in den Achtzigern befand. Kurz: „Die Glühbirne ist perfekt“, wie 1929 der Elektroingenieur und Autor populärer Technikbücher Artur Fürst in einer Auftragsarbeit für Osram schrieb. Noch im Jahr 2006 bezeichnete der leitende Osram-Diplomingenieur Alfred Wacker die Glühbirne als „einfach genial, das ganze Netz ist für sie gemacht“.
Doch ihre Tage sind gezählt, bis 2012 soll sie in Europa völlig vom Markt verschwinden.
Bereits 1985 hatte Osram verkündet: „Tut uns leid, Mister Edison.“ Damit bewarb der Konzern seine „Energiesparlampen“. Das Wort hatte Osram „überhaupt erst“ für diese umgebogene Leuchtstoffröhren erfunden, wie Alfred Wacker 2008 aus der Münchner Osram-Zentrale hervorhob. Er reagierte damit auf eine Kritik aus der Bundesanstalt für Materialprüfung, wo man bezweifelte, dass Osram seine „Halogen-ES“-Birnen „Energiesparlampen“ nennen dürfe.
Das Glühbirnenkartell Phoebus S.A., das sich später umbenannte in International Electrical Association (IEA) und sich in Pully bei Lausanne niederließ, teilte 1992 mit, dass sich das Kartell im Herbst 1989 aufgelöst habe. „Wer's glaubt, wird selig“, meinte dazu der brasilianische Kartellforscher Rudolf Mirow. Er besuchte damals das Kartellamt in Berlin und schimpfte anschließend: „Das sind keine Kartellverhinderer, sondern Kartellhüter.“
Auch bei der Treuhandchefin Birgit Breuel fand er kein Gehör, die er davor warnte, das ostdeutsche Lampenkombinat Narva abzuwickeln, das geeignet wäre, dem Elektrokartell einmal „Paroli zu bieten“. Bis auf das Narva-Leuchtstoffröhrenwerk in Brand-Erbisdorf, das sich quasi selbst privatisierte, wurden im Osten so gut wie alle „Arbeitsplätze im Licht“ vernichtet.
Günter Grass schreibt in seinem 1995 veröffentlichten Treuhand-Roman „Ein weites Feld“, in dem ein befristet angestellter Aushilfshausmeister namens Fonty die Hauptrolle spielt: „Als letzten Treuhand-Auftrag soll er sich ein neues Wort für ‚abwickeln‘ ausdenken (…). Danach schrieb er die Geschichte des VEB Glühlampenwerks als mögliche Bilderbogengeschichte: ‚Man könnte im Neuruppiner Stil mit Goebel/Edison, den Erfindern der Glühbirne, beginnen und dann die ewig vom Kurzschluß bedrohte Erleuchtung der Welt von Station zu Station steigern, bis es bei der volkseigenen Narva und auch sonst zappenduster wird‘.“
Diesen Romanschluss hatte ihm die taz gewissermaßen nahegelegt. Und das kam so: 1982 saßen der taz-Kulturredakteur Mathias Broeckers und der taz-Vogelsberg-Korrespondent (ich) in einem Nachtzug von Berlin nach Fulda. Wir redeten über Glühbirnen, ausgehend von Pynchons unsterblicher, die er real übrigens in der Feuerwehrwache von Livermore, Kalifornien, entdeckt hatte, wo sie seit 1901 brannte und immer noch brennt.
Dabei kamen wir auf eine ganz andere „Glühbirnenverschwörung“ als die der Phoebus/IEA zu sprechen, denn überall hatten wir seit unserer Pynchon-Lektüre Glühbirnen entdeckt: in allen möglichen Texten, Kunstwerken, Werbeplakaten, ja selbst auf Stellenanzeigen. Byron lebte – und wie! Wir berichteten in der taz-Buchmessenausgabe und dann in dem US-Journal Pynchon-Notes darüber. In den darauffolgenden Jahren entstand daraus eine ganze taz-Glühbirnenforschung, der sich der Germanist Helmut Salzinger, der Kartellkritiker Kurt Rudolf Mirow, der Dichter und Glühbirnenpatentinhaber Erich Fried, der Weddinger Erfinder Dieter Binninger und andere anschlossen.
Richtig los ging es damit jedoch erst, als die Siemensmanager in der Treuhand-Betriebsbewertungsgruppe Narva auf die Abwicklungsliste setzten und der Treuhandpräsident Detlef Rohwedder erschossen wurde (laut Bild-Zeitung „beim Auswechseln einer kaputten Glühbirne“), nachdem er die geplante Narva-Abwicklung ausgesetzt hatte. Dieses Werk wurde dann von Rohwedders Nachfolgerin an drei Westberliner Immobilienspekulanten verkauft. Nach Protesten musste die Treuhand diese heimliche Abwicklung rückgängig machen. Sodann trat Dieter Binninger als Narva-Käufer auf den Plan. Er hatte eine Glühbirne entwickelt, die 150.000 Stunden hielt (42 Jahre – so lange wie die DDR), die er in einer Fabrik mit nur einem Arbeiter, Herrn Weinstock aus Poznan, produzierte. Nachdem er seine Kaufofferte für Narva abgegeben hatte, stürzte Binninger mit dem Flugzeug ab.
Das war zu viel! Die taz berichtete nun fast täglich über Narva, und ich belebte mit dem Betriebsrat die Narva-Hauszeitung Lichtblicke wieder, die von der Treuhand eingestellt worden war. Aus dem Widerstand der Narva-Belegschaft entstand die ostdeutsche Betriebsräteinitiative.
Es nützte alles nichts. Am Ende waren doch alle „Arbeitsplätze im Licht“ weg. Auch im Westberliner Osram-Werk wurden bald die Glühbirnenfließstrecken in ein Werk im Elsass ausgelagert. Damit war die Birnenproduktion in der ehemaligen „Stadt des Lichts“ an ihr Ende gekommen.
Stattdessen nahm die Werbung für Energiesparlampen zu. Gleichzeitig konzentrierte sich Osram auf Leuchtdioden, die fast unsterblich waren. Auch wenn der Konzern sie immer heller und billiger macht, so dass sie nun doch wieder eine begrenzte Lebensdauer haben.
In der taz fristet die Glühbirnenforschung inzwischen nur noch eine Randexistenz; das Gros der Zeitung hat sich aus Gründen des Klimaschutzes auf die Seite der „Energiesparlampen“ geschlagen, obwohl ernste Zweifel an ihrem ökologischen Nutzen bestehen. Siemens will nun nach dem großen Skandal und der Strafe von einer Milliarde Euro, zu der der Konzern verurteilt wurde, die Korruption bekämpfen. Und die Glühbirnen verschwinden jetzt schon, obwohl ihnen die EU-Kommissare noch ein paar Jahre Restlaufzeit gewährt haben, aus den Regalen – um, wie bereits absehbar, auf dem Schwarzmarkt weiter gehandelt zu werden. Die Glühbirne ist noch nicht am Ende: „Byron ist verdammt, bis in alle Ewigkeit weiterzuexistieren, wissend um die Wahrheit und doch machtlos, etwas zu verändern“, heißt es bei Pynchon.
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