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Taub- und tottelefoniert

■ Mobiltelefone bringen Hörgeräte und Herzschrittmacher zum Absturz

Keine so schöne Vorstellung: Man sitzt im Wagen des Freundes, der greift zum niegelnagelneuen Autotelefon – und schon beginnt das Herzrasen. Und wenn man Pech hat und der besorgte Freund auch noch gleich das Krankenhaus anrufen will, dann hat das letzte Stündlein geschlagen. Erst stirbt der Herzschrittmacher, dann der Mensch. Eine Horrorvision, die die Bremer Vertreiber der Schnurlos- Telefone für „reine Schwarzmalerei“ halten. Das Schweizer Bundesamt für das Gesundheitswesen dagegen plant immerhin eine Initiative, die schicken Telefone wenigstens in den Krankenhäusern zu verbieten. Denn die Telefonomanen können nicht nur tot- sondern auch taubtelefonieren. Auch wenn ein Dossier des Schweizer Amtes den Einfluß auf Schrittmacher als „höchst unwahrscheinlich“ einstuft, der auf Hörgeräte ist „empfindlich“. Wenn der schwerhörige Nachbar nahe genug dran ist am Sender, dann stürzt auch sein Hörgerät ab.

Was den Schweizern recht ist, sollte den Bremern billig sein, aber eine Nachfrage beim Gesundheitssenator ergibt: Noch gibt es keinen Handlungsbedarf. Das Problem sei zwar bekannt, gab der Ressortsprecher Jochen Eckertz zu, „aber es gibt zu wenig fundiertes Wissen. Es gibt einen solchen Wellensalat, da können Sie kaum die Störungsquelle isolieren.“ So lange dieser Beweis nicht einwandfrei geführt sei, so lange könne die Behörde auch nicht einschreiten. Bis dahin empfiehlt der Behördensprecher: Der Patient solle sich ein Telefon kaufen, das zur Frequenz seines Schrittmachers passe, und keines ohne Postzulassung.

Etwas drastischer drückt sich da schon der Verkäufer der Firma Phoneland vom Ostertorsteinweg aus: „Wenn einer einen Herzschrittmacher hat, dann weiß ich nicht, warum er auch noch ein Autotelefon braucht.“ Das Thema kenne er, gibt er zu, aber: Alles unbewiesen, alles Panikmache, die Leistung von um die zwei Watt sei so gering, da könne gar nichts passieren. In Amerika, wo mit fünf Watt telefoniert würde, da müßten sich die Kranken das schon überlegen. Von der Sache mit den Hörgeräten habe er noch nie gehört.

Das geht Manfred Büscher ganz anders: Er ist Leiter der Bremer Schule für Schwerhörige und Gehörlose. In der Schule selbst sei das kein Problem, sagt er, die sei weit genug von anderen Häusern weg, aber SchülerInnen, die in Wohnblocks wohnen, die berichteten häufiger von Störungen im Hörgerät. „Aber da kann man ganz schlecht rauskriegen, woher die kommen.“ Auch das haben die Schweizer nachgewiesen, und beim SAT1-Frühstücksfernsehen von gestern trat ein Mann zum Thema auf, der von seinen Erlebnissen im Krankenhaus berichtete. Kaum habe der Bettnachbar angefangen zu telefonieren, habe sein Hörgerät den Geist aufgegeben.

Der Markt für Mobiltelefone boomt nach wie vor, fast sieht es so aus, als hätten die Patienten keine Chance. Die Hersteller haben sich jedenfalls abgesichert. Der Verkäufer der Firma Hagenuk: „Das mit den Herzschrittmachern, das steht schon in der Gebrauchsanleitung für die Autotelefone.“

Jochen Grabler

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