■ Tarifabschluß im öffentlichen Dienst läßt Fragen offen: Die magische Drei vor dem Komma
Beide Verhandlungsseiten können mit dem Tarifabschluß im öffentlichen Dienst zufrieden sein. Der symbolischen Politik des Tarifstreits wurde genüge getan. Das Wichtigste im Zwist aber wurde auf später vertagt: Die Zusatzvereinbarungen zu Überstunden und Leistungszulagen werden später verhandelt. Dann nämlich, wenn Kameras und Mikrofone erst mal abgezogen sind.
Zum ersten: Die ÖTV erreichte die symbolisch wichtige Drei vor dem Komma. 3,2 Prozent mehr Lohn und Gehalt, das ist zwar weniger als die Abschlüsse in der gewerblichen Wirtschaft. Aber die Prozentzahl vor dem Komma ist die gleiche wie in der Metall- und Chemieindustrie, der „Anschluß“ wurde gewahrt, wie ÖTV-Chef Mai erleichtert vermerkte.
Bis zum 30. April 1996, also dreizehn Monate, läuft der Tarifvertrag. Für den April gibt es für jeden Beschäftigten 140 Mark (Ost: 114,80 Mark). Vom Mai an steigen dann die Löhne und Gehälter um 3,2 Prozent. Diese Rechnung läßt Spielraum für ein etwas anderes „Endergebnis“, das die Arbeitgeber ihren Mitgliedern präsentieren. Sie kommen nur auf eine Einkommenserhöhung von 2,72 Prozent im Volumen bei dreizehnmonatiger Laufzeit. Die abweichende Prozentzahl ergibt sich aus einer anderen Verrechnung der Einmalzahlung von 140 Mark. Außerdem rechnen die Arbeitgeber noch die Deckelung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes vom vergangenen Jahr ein.
Soweit die Symbolik der Prozente. Wichtiger aber sind die Zusatzvereinbarungen im Tarifabschluß: Über deren Bedeutung ist schon jetzt Widersprüchliches zu hören. Der Berechnung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit soll künftig ein Zeitraum von 52 Wochen zugrunde gelegt werden. Da auf diese Weise Überstunden längerfristig „abgebummelt“ werden können, müßte diese Regelung auf eine Kürzung der Überstundenzuschläge hinauslaufen. Eigentlich. Über die genaue Ausgestaltung der Jahresarbeitszeit werde aber noch „verhandelt“, heißt es in der ÖTV-Zentrale in Stuttgart. „Keine Kürzung von Überstundenzuschlägen“, verspricht die Gewerkschaft den Mitgliedern in ihrer Mitteilung zum Tarifabschluß. Wenn das mal gutgeht.
Ärger wird es auch um die Zusage der Gewerkschaft geben, daß Angestellte im öffentlichen Dienst künftig auch „ohne wichtigen Grund“ befristet eingestellt werden können. Gerade in Schulen und Hochschulen ist die Empörung der Beschäftigten vorprogrammiert. Es wird nicht der einzige Unmut bleiben. Neid und Gemurre drohen auch von anderswoher. Geheimer Gewinner der diesjährigen Tarifrunde sind nämlich die Ost-Beschäftigten. Von 1997 an wird auch für sie die Alterssicherung nach Westmodell eingeführt. Nicht wenig. Barbara Dribbusch
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