Tanja Schmitz will unbedingt Lehrerin werden :
Regime der Stempel
Über den Zugang zur Schule entscheiden nicht Bewerbungsgespräche und die wirkliche Qualifikation, sondern abgestempelte Zertifikate und Verwaltungsakte
An den Schulen werden junge, engagierte Lehrkräfte dringend gebraucht. Könnte man denken. Tanja Schmitz wäre vielleicht eine. Im Herbst 2000 hat sie ihr erstes Lehrerexamen gemacht an der Bremer Universität und müsste für den zweiten Teil ihrer Ausbildung zur Lehrerin einen Referendariats-Platz bekommen. Seit dem Herbst 2000 wartet sie und wartet und wird abgelehnt und von Halbjahr zu Halbjahr vertröstet.
Wie so etwas geht? Tanja Schmitz hat das Examen in den Fächern Deutsch und Politik gemacht mit Schwerpunkt Sekundarstufe 2. Für ihre Fächer werden vor allem in der Sekundarstufe 1 Lehrer gesucht. Wenn das den Lehramtsstudierenden jemand rechtzeitig gesagt hätte, dann hätte sich Tanja Schmitz ihren Examens-Stempel für Sekundarstufe 1 geholt – im Studium macht das nämlich kaum einen Unterschied. Auch im Referendariat kann man sich die Lehrbefähigung für die „angrenzende Schulstufe“ mit einem Arbeitsaufwand von drei Monaten zusätzlich abstempeln lassen – für einen, der einen Referendariats-Platz sucht, ist das aber eine unüberwindliche Hürde. Sagt die Behörde LIS, „Landesinstitut für Schulpraxis“, die streng nach den Verordnungen des Bildungssenators arbeitet.
Vier Semester zusätzliches Studium würden verlangt, um diese Qualifikation an der Universität zu erlangen. Nun wartet Tanja Schmitz seit zwei Jahren. Wenn ihr jemand damals gesagt hätte, dass sie zwei Jahre warten muss, hätte sie längst diese vier Semester hinter sich. Oder zusätzlich die Lehrbefähigung für Spanisch erworben. Aber wenn man von Halbjahr zu Halbjahr vertröstet wird, wartet man eben.
Warten erhöht die Qualifikation im staatlichen Schulwesen. Was bei jedem normalen Arbeitgeber als Nachteil gerechnet würde, nämlich zwei Jahre keine Beschäftigung nach dem Examen, wird beim staatlichen Arbeitgeber als Vorteil gewertet: Wartepunkte sind so gut wie hervorragende Noten. Wer bei der Bundeswehr Schießen gelernt hat, kriegt auch Pluspunkte. Wenn eine wie Tanja Schmitz zwei Kinder groß gezogen hat, erhöht das die Qualifikation für den Lehrerberuf um Nullkommanichts. Als Mutter hat sie die Qualifikation, ihren 12-jährigen Sohn zu erziehen, aber für die Befähigung, 12-Jährige in der Schule zu unterrichten, fehlt ihr der Stempel. Für 17-Jährige hat sie den Stempel. Als alleinerziehende Mutter hätte sie vielleicht einen Vorteil bei den sozialen Kriterien. Blöderweise ist sie verheiratet. Das ist ein Minuspunkt. Das Landesamt für Schulpraxis gab der Mutter zweier schulpflichtiger Kinder den Tipp, sich für das Referendariat in Niedersachsen zu bewerben. Auf solche Ratschläge können nur „Ämter für Praxis“ kommen.
Nach einigen Halbjahren des Vertröstetwerdens hat Tanja Schmitz angefangen, an der Uni Erziehungswissenschaft zu belegen. Jeder normale Arbeitgeber würde das als zusätzliche Qualifikation bewerten. Für das Amt für Schulpraxis ist das aber völlig egal, denn es ist in den Verordnungen nicht vorgesehen. Selbst ein Diplom in Erziehungswissenschaften würden keinen „Punkt“ geben für die Chance, einen Referendariatsplatz zu bekommen. Tanja Schmitz arbeitet an der Stadtteilschule Leibnitzplatz für acht Euro die Stunde als „Werkstudentin“. Da gibt es nur die Sekundarstufe 1, für die sie keinen Stempel hat. Das bedeutet: Mit den Schülern arbeiten darf sie da, aber ihre Ausbildung beenden – nicht. Werkstudentinnen sind Mädchen für alles: Die können zum Beispiel auch Unterricht vertreten. Tanja Schmitz macht PC-Kurse für Schüler, alles Sekundarstufe 1. Und die Schulleitung ist in jeder Hinsicht zufrieden mit ihrer Arbeit und ihrem pädagogischen Einsatz: „Eine tolle Frau.“
Das interessiert für die Einstellung als Referendarin niemanden, denn da geht es nicht um die Qualifikation und Persönlichkeit. In jedem Unternehmen gehört die Entscheidung über die Einstellung neuer junger Kollegen zum Kern der Zukunftsplanung und der Qualitätssicherung. Für das Unternehmen Schule ist das ein Feld für Verwaltungsakte.
Klaus Wolschner