piwik no script img

Tagung der Bertelsmann-KritikerEine Kasse für sich

200 Bertelsmann-Kritiker tagten in Frankfurt. Sie werfen der Konzernstiftung vor, Privatisierung und Sozialabbau voranzutreiben. Davon profitiert: Bertelsmann

Kommt das Böse aus Gütersloh? Blick auf die Bertelsmann-Zentrale. Bild: dpa

Globalisierungsgegner und Linke haben ein neues Schlachtfeld. Jetzt soll es dem Bertelsmann-Konzern an den Kragen gehen, Europas größtem Medienunternehmen. Dabei steht das Kerngeschäft gar nicht in der Kritik, weder das Programm der Fernsehtochter RTL noch die Magazine aus dem angeschlossenen Verlag Gruner + Jahr oder die Buchverlage, an denen die Gütersloher beteiligt sind. Die neuen Kritiker arbeiten sich an der Bertelsmann-Stiftung ab, die Mehrheitseigentümer des Bertelsmann-Konzerns ist und sich fleißig an politischen Debatten beteiligt. In der vorigen Woche geriet die Stiftung unfreiwillig in die Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass gegen Stiftungsvorstand Werner Weidenfeld wegen des Verdachts auf Untreue ermittelt wird. Er soll bei Spesenabrechnungen betrogen haben.

Am Wochenende haben sich rund 200 Bertelsmann-Kritiker in Frankfurt getroffen, um ihren Protest zu organisieren. Vor allem Journalist Eckart Spoo heizte die Stimmung an. "Hilft die Stiftung den armen Kindern oder den Kranken in den Ländern, aus denen sie ihre Gewinne scheffelt? Im Gegenteil!", rief er. Sein Vorwurf: Die Stiftung wolle vor allem deregulieren, also den Staat und damit auch dessen Fürsorge aus dem Leben der Menschen drängen, damit die Wirtschaft mehr Platz hat - und damit eben auch Bertelsmann.

Heftig diskutiert wurden etwa die Aktivitäten der Bertelsmann-Tochter Arvato, einem Dienstleistungskonzern, der etwa in Großbritannien bereits kommunale Aufgaben übernimmt, Steuern eintreibt und nach Vorschrift an Bedürftige verteilt. Mit der Stadt Würzburg hat Arvato auch hierzulande schon einen Vertrag für Dienste am Bürger geschlossen - und macht sich damit mehr und mehr in den öffentlichen Verwaltungen breit.

"Hier sollen Bürger zu Kunden werden", mahnte Spoo und wies zudem auf das von der Bertelsmann-Stiftung maßgeblich finanzierte Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) hin, das Reformen im Bildungswesen anmahnt. "Bildung wird zur Ware", warnte Spoo. Dass an der Bertelsmann-Initiative auch die Hochschulrektorenkonferenz beteiligt ist, halte er "für einen Angriff auf die Menschenwürde" und "einen Skandal". In Frankfurt forderte er: "Diese hohen Beamten müssen dienstrechtlich verfolgt werden!"

Wie viel Bertelsmann inzwischen abseits der Medien tut, zeigten auch Randdiskussionen der unter anderem von Attac und der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di organisierten Tagung. Horst Bethge (Die Linke) sagte in einem Gespräch über die "Bertelsmannisierung der Schulen", die Stiftung würde erst mehr Eigenverantwortung der Schulen fordern - und dann über Arvato jene Dienstleistungen anbieten, die Schulen nun eigenständig einkaufen müssten. "Grundschulen in Niedersachsen werden etwa gerade mit Arvato-Prospekten geradezu überschwemmt, seit sie ihre eigenen Budgets verwalten müssen, das aber oft gar nicht schaffen."

Die Kritiker, die bereits in dem Sammelband "Netzwerk der Macht - Bertelsmann" die vielfältigen Aktivitäten von Konzern und Stiftung dokumentierten, fordern viel. "Den Gütersloher Missionaren muss man die Gemeinnützigkeit aberkennen", sagte Spoo. Der Soziologe Steffen Roski, einer der verbissensten Bertelsmann-Kritiker, kam gar auf die Idee, die Bertelsmann-Buchclubs zu besetzen, um Öffentlichkeit zu schaffen: "Wir müssen raus aus unserem Milieu!" Eine weitere Tagung, auf der über konkrete Aktionen beraten werden soll, ist in Planung.

In Gütersloh dürfte man angesichts des drohenden öffentlichen Protests unruhig werden. Denn es steht viel auf dem Spiel: Allein in den ersten Monaten dieses Jahres setzte der Konzern 9,9 Milliarden Euro um.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!