Tag des Denkmals: Berlins geliebte Bausünden
Der diesjährige "Tag des offenen Denkmals" widmet sich der Berliner Nachkriegsmoderne in Ost und West. Die Epoche ist bis dato vom Abriss bedroht. Das soll sich ändern.
Ausgerechnet Ingeborg Junge-Reyer, möchte man ausrufen. Ausgerechnet die Senatorin für Stadtentwicklung, deren Verwaltung zahlreiche Zerstörungen und Abrissbegehren von Architekturen der Nachkriegsmoderne auf dem Gewissen hat, hebt seit Donnerstag diese Zeit der Berliner Baugeschichte auf den Schild. Kaum zu glauben. Zur Vorstellung des Programms für den "Tag des offenen Denkmals" am 8. und 9. September, der diesmal die Bauten der Nachkriegszeit zum Thema hat, jedenfalls spielte Junge-Reyer den Part der Beschützerin. Es sei gut, dass mit einem derartigen Event die Epochen des Wiederaufbaus aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren von beiden Teilen der Stadt "in den Mittelpunkt" gerückt werden. Gerade ihnen verdanke "Berlin sein besonderes städtebauliches Profil".
Modern Times! Zum "Tag des offenen Denkmals" können am 8. und 9. September mehr als 350 denkmalgeschützte Bauwerke und Anlagen besichtigt werden. Der Schwerpunkt liegt in diesem Jahr auf dem "Erbe der Nachkriegszeit" in Ost und West. Zugleich stehen auch über 100 Kirchen auf dem Programm. Das Programmheft ist kostenlos in allen Bürgerämtern und im Landesdenkmalamt erhältlich.
Es wäre noch besser, wenn die SPD-Senatorin nicht nur am Denkmalstag und aus Anlass des 50. Jubiläums des Hansa-Viertels sich schützend vor die Nachkriegsmoderne stellen würde, sondern dauerhaft und glaubwürdig. Hat doch ihre Verwaltung nicht nur dieses Erbe schwer beschädigt und bedroht - siehe den den Abriss des "Ahornblatts" oder der lange Kampf um das Studentendorf Schlachtensee. Sie stellt bis dato Bauten dieser Art auf den Index. Für das "Schimmelpfenghaus" an der Gedächtniskirche liegt eine Abrissgenehmigung vor. Gekillt werden soll auch die Deutschlandhalle. Dem Bikini-Haus und dem Zoo-Palast drohen Veränderungen durch Umbauten.
Wie stilprägend und bedeutsam das Berliner "Erbe der Nachkriegszeit" ist und in welcher Fülle und Qualität diese Architektur existiert, machte dann Junge-Reyer selbst deutlich. Das Hansa-Viertel, das Le Corbusier-Haus oder die Staatsbibliothek im Westteil sowie das Staatsratsgebäude, die Architektur und der Fernsehturm am Alexanderplatz, die Laubenganghäuser an der Karl-Marx-Allee oder die Kunsthochschule Weißensee in Ostberlin - all das seien außergewöhnliche und "überaus bewahrenswerte" Denkmale. Diese und rund 350 weitere Angebote umfasst darum das Programm des Denkmaltages.
Von internationalen Architekturstars wie Walter Gropius, Alvar Aalto oder Oscar Niemeyer entworfen, verkörperten diese Formen des Bauens "ein neues Lebensgefühl. Sie waren Ausdruck für die gesellschaftlichen Veränderungen in der Stadt" nach den Jahren der NS-Diktatur, so die Senatorin weiter. Mit offenen Grundrissen, Gemeinschaftsflächen und fließenden Grenzen zur Natur sollten die Neubauten zudem im Westteil auch ein Gegenentwurf zu den konservativen Bauvorhaben von Hermann Henselmann an der Stalinallee im Osteil der Stadt bilden.
Dass dieses Wissen bis heute nicht ausreicht, die denkmalwerten Bauten der Nachkriegszeit zu sichern, beklagte Jörg Haspel, Berlins Landeskonservator. Weil noch bis in die jüngste Vergangenheit - gemeint ist die Ära des früheren Senatsbaudirektors Hans Stimmann - die Bauten als "Bausünden" oder "seelenlose Architektur" verteufelt wurden, "sind die Zeugnisse der Nachkriegszeit gefährdet". Dieser "Tag des offenen Denkmals" sei darum besonders wichtig, die Dokumente der Berliner Architekturgeschichte ins Bewusstsein zu heben und ihnen endlich - wie der sanierten Kongresshalle - Wertschätzung zukommen zu lasssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!