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Täter und Opfer der Stasi an einem Tisch

Zum achten Mal veranstaltete das Berliner Museum am Checkpoint Charlie ein „Täter-und-Opfer-Gespräch“/ Wolfgang Templin und sein Stasi-Spitzel Lothar Pawliczak reden miteinander, aber sie finden nicht dieselbe Sprache  ■ Aus Berlin Anita Kugler

Rainer Hildebrandt, Leiter der „Arbeitsgemeinschaft 13.August“ betritt den kleinen Filmraum im Museum am Checkpoint Charlie. Er freue sich, sagt er, daß heute wieder so viele ehemalige Stasi-Täter zum Gespräch erschienen sind, und noch mehr freue er sich, daß einige „ihre Opfer mitgebracht haben“. Werner Fischer, Moderator des Abends und Mitbegründer der DDR-„Initiative Frieden und Menschenrechte“ korrigiert die lieb gemeinte, aber krause Begrüßung. Die bereits siebenmal stattgefundenen Gespräche zwischen Verfolgten und Verfolgern des SED-Staates hätten sich festgefahren. Bei der Fülle von Informationen, die auf dem Tisch liegen, sei es jetzt sinnvoller, Menschen, die einen „direkten Bezug miteinander“ haben, an den Tisch zu bringen — also „Spitzel und Bespitzelte in Augenhöhe miteinander reden zu lassen“. Dieser Dialog ist für Stasi-Auflöser Fischer ein Versuch, die Debatte zu versachlichen. In der „Presse-Hysterie“ gehe unter, daß „es den typischen Informellen Mitarbeiter“ nicht gegeben habe.

In der Tat: Die „Opfer und Täter“, die an diesem Abend auf dem Podium nebeneinander sitzen, haben jeder für sich eine einzigartige Geschichte. Da ist Wolfgang Templin: In den frühen siebziger Jahren und als FDJ-Sekretär hatte er sich „mit Haut und Haaren“ der Idee einer „sozialistischen Perspektive“ verschrieben. Nicht das System, sondern die von Menschen gemachten Fehler seien verantwortlich für die Unzulänglichkeiten des deutschen Sozialismus gewesen. Die Stasi hätte es geschafft, ihn genau an dieser „Spannung“ zwischen Realität und Hoffnung „abzuholen“, ihn als Informanten in das Stasi-Netz einzubinden. Erst Mitte der 70er Jahre sei ihm klar geworden, daß die DDR nicht reformierbar ist. Wer die unmenschliche Logik dieses Systems begriffen hatte, so Templin heute, mußte unausweichlich zu seinem Gegner werden. In den Folgejahren wurde er als Bürgerrechtler und Mitbegründer der „Initiative Frieden und Menschenrechte“ (IFM) zum bestgehaßten und meistverfolgten Oppositionellen der DDR.

Lothar Pawliczak vermag dieser Logik nicht zu folgen. Mit einer kurzen Unterbrechung Anfang der achtziger Jahre war er „IMB“, Stasi-Zuträger mit „Feindberührung“, dies bis zum Untergang der DDR. Der Glaube an die Reformierbarkeit des SED-Regimes hat ihn nach eigenem Bekunden nie verlassen. „Durch meine Stasi-Tätigkeit wollte ich es verbessern.“ Trotzdem er sich, wie er sagte, „der Verwerflichkeit seines Handelns“ bewußt war, bespitzelte er die Bürgerrechtler. Er schrieb Berichte über das Ehepaar Poppe, über Bärbel Bohley und über Wolfgang Templin, mit dem er seit 1969 „befreundet“ war. Seine Arbeit habe er vor sich selbst damit gerechtfertigt, daß die Berichte „eigentlich unwichtig“ waren. Irgendeiner, so der verquere Gedankengang, hätte schließlich der „Führung Bescheid sagen“ müssen. Als Transmissionsriemen zur Politbürokratie sei nur das MfS in Frage gekommen.

Wolfgang Templin bestreitet auf das heftigste, daß Pawliczaks Berichte unwichtig gewesen wären. Im Gegenteil, Pawliczak war einer der „besten“ und für die Stasi „wichtigsten“ Informanten in der Bürgerrechtsbewegung. Gerade die Sachlichkeit seiner Berichte hätte die Stasi gebraucht, fanatische Parteianhänger hätten nur ein „verzerrtes Bild“ der Bespitzelten liefern können.

Die Positionen der beiden Kontrahenten waren an diesem Abend unvereinbar. Die Unversöhnlichkeit zwischen ihnen drückte sich auch in ihrer Körperhaltung aus. Sie saßen nebeneinander, ihre Blicke aber begegneten sich nicht ein einziges Mal. Der von Werner Fischer erhoffte Dialog kann nicht zustande kommen, solange die ehemaligen Stasi-Informanten so verhärtet sind. Da hilft auch nicht das Bekenntnis von Pawliczak, daß er heute seine Spitzeldienste als Unterstützung einer „kriminellen Vereinigung“ wertet — „fast so schlimm, als hätte ich die RAF oder die Gestapo unterstützt“.

Und trotzdem unterschied sich dieses „Täter-und-Opfer-Gespräch“ von den vorangegangenen. Fast völlig verschwunden waren die Emotionen aus dem Publikum, früher überwiegend ehemalige Stasi-Gepeinigte. Statt ihrer war an diesem Abend die Presse mit einem Großaufgebot erschienen. Acht Kameras waren auf das Podium gerichtet, ein Gewirr von Mikrofonen und ein Blitzlichtgewitter. Statt Dialog war es eine Pressekonferenz. Die Journalisten wollten Sensationen, und die waren nicht zu bekommen. Die Stasi-Arbeit, so wie sie die Täter darstellten, war alltäglich, streckenweise banal und schien weit entfernt vom Psychoterror zu sein, den nicht nur Templin erlitt. Der Protest des Publikums entzündete sich nur einmal, und zwar ausgerechnet am Bericht des Bekennungs-Profis Günther Schachtschneider, Hauptamtlicher der AbteilungXX in der Berliner Bezirksverwaltung und zuständig für die Überwachung des Gesundheitswesens. Er, der an sämtlichen Gesprächen im Museum teilnahm, sollte erklären, welche Zersetzungsanweisungen er seinen 45 Inoffiziellen Mitarbeitern gegeben hat. Schachtschneider blieb die Antwort schuldig und rettete sich in die bekannte Darstellung, wonach die Stasi immer bestrebt war, den Eindruck der Allwissenheit hervorzurufen. Die daraus resultierende „anonyme Angst“ hätte es den meisten der DDR-Bürgern leicht gemacht, sich in das Spitzelsystem integrieren zu lassen. Die Teilnahme an dieser „anonymen Macht“ bot so auch ein Stück „Sicherheit“.

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