TUNESIENS STAATSPRÄSIDENT ZINE EL ABIDINE BEN ALI IST IN DEN ZEITUNGEN SEINES LANDES OMNIPRÄSENT : Die tägliche Hommage an den geliebten Landesvater
NEBENSACHEN AUS TUNIS
„Déformation professionnelle“ – „Berufskrankheit“ nennt ein Freund die Angewohnheit von uns Journalisten, täglich alle möglichen Zeitungen zu kaufen. Auch ich bin davon befallen, wie bei meiner jüngsten Reise nach Tunesien. Neben arabischsprachigen Zeitungen erscheinen auch Blätter auf Französisch. Le Temps und La Presse heißen die wichtigsten.
Es vergeht kaum ein Tag ohne Foto von Präsident Zine el Abidine Ben Ali auf den Titelblättern. Knapp einen Monat nach der Wiederwahl mit 89,28 Prozent empfängt der einstige General noch immer „Glückwünsche der Zivilgesellschaft“. Tag für Tag berichtet La Presse auf Seite 1 von Organisationen, die den Präsidenten zu seinem enttäuschenden Abschneiden – vor zehn Jahren erzielte er über 99 Prozent – gratulieren. Ortsverbände der Präsidentenpartei RCD, Gewerkschaften, der tunesischen Freizeitverband oder das Sozialwerk der Journalisten schicken Telegramme. Botschaftern aller Länder schütteln Ben Ali die Hand. Dies ist ein willkommener Anlass, um bis zu einem Dutzend Fotos des geliebten Landesvaters auf einer Seite unterzubringen.
Der ehemalige General, der 1987 mittels eines unblutigen Putsches seinen Ziehvater, den Führer der tunesischen Unabhängigkeit, Habib Bourguiba, stürzte, ist ein guter Präsident. Daran lässt Le Temps keinen Zweifel. Das sich „unabhängig“ nennende Blatt meldet am 19. November Vollzug. Ben Ali habe die wichtigsten Wahlversprechen nach nur vier Wochen so gut wie umgesetzt.
Wer glaubt, dass sich der Staatschef nun die nächsten knapp fünf Jahre zufrieden zurücklehnen kann, wird bei der Lektüre eines Besseren belehrt. Der Vater aller Tunesier ruht nie. Er nimmt an internationalen Treffen teil, weiht Kongresse ein, gratuliert Prinz Albert zum Nationalfeiertag von Monaco, dem marokkanischen König Mohammed VI. zum Jahrestag der Unabhängigkeit oder wird selbst in „befreundeten Ländern“ geehrt.
Wer seinen Lesespaß auf den Gesellschaftsseiten sucht, stößt auch dort wieder auf Ben Ali – diesmal auf seine Frau Leila. Die Vorsitzende der Arabischen Frauenorganisation ehrt Schauspielerinnen, eröffnet Empfänge und lässt sich als „moderne und bescheidene Intellektuelle“ porträtieren. „Ich bin eine Tunesierin wie all die anderen“, lautet eine der Schlagzeilen.
Auch die Flucht ins Internet schafft keine Abhilfe. Wer von Tunesien aus auf regimekritische Seiten zugreifen will, bekommt folgende Nachricht: „440 not found pages“.