piwik no script img

Archiv-Artikel

TSCHETSCHENIEN: DIE VERROHUNG DER FORMEN ERREICHT MOSKAU Archaik versus Zivilgesellschaft

In Moskau läuft der Antiterrorkampf vorbildlich. Diesen Eindruck möchte der Kreml vermitteln, nachdem er den gemäßigten Separatistenführer Aslan Maschadow ausschalten konnte. Doch das Bild täuscht. Es ist Symbolik, mit der der Kreml Politik ersetzt. Umgehend verlieh Putin Orden an die Todesschwadron und den Statthalter des Kremls in Grosny, Ramsan Kadyrow – und kredenzte den Kopf des legitimen Präsidenten den Müttern Russlands schmunzelnd „als Geschenk“ zum internationalen Frauentag. Werte, Normen und Moral? Russland bedient sich ihrer nur noch, wenn es unbedingt nötig ist, nämlich auf dem internationalen Parkett. Und selbst dies nur mittels mühevoller Selbstzensur und gegenüber Staaten, die es für gleichrangig hält.

Für den Rest sind die Stiefel der Militärs gut genug. Das Schauspiel um den Tod des Separatistenführers machte überdies deutlich, wie die Auswirkungen des Tschetschenienkrieges Moskau erreichen. Nicht in Form einer permanenten Bedrohung durch potenziellen Terror – das auch, daran hat sich die schutzlose Bevölkerung längst gewöhnt. Auch daran, unter der verfehlten Kaukasuspolitik leiden zu müssen. Nein, die Auswirkungen reichen tiefer. Inzwischen hat auch in Moskau eine Verrohung der Formen stattgefunden. Zivilität und Zivilgesellschaft sind zu inhaltslosen Schlagworten verkommen.

Den Gegner zermalmen, statt nach einem Ausgleich zu suchen, lautet die Devise. Archaik ersetzt Subtilität. Nach diesem Muster agierte der Kreml auch bei den Präsidentschaftswahlen in der Ukraine, in Georgien und gegenüber den baltischen Staaten. Und selbst die moskaufreundlichen Abchasen bekamen den Stiefelabsatz zu spüren. Hatten sie doch die Ungeheuerlichkeit begangen, mitbestimmen zu wollen, von wem sie regiert werden möchten.

Langfristig steht der Erhalt der Föderation auf dem Spiel. Den Grund für die Spirale der Misserfolge versteht im Kreml indes niemand. Ein guter Freund müsste es Wladimir Putin wohl mal unter vier Augen stecken. KLAUS-HELGE DONATH