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Archiv-Artikel

TJA, FREIMARKT (2): BAD HEMMINGWAY An einem fremden Stand

Einmal im Jahr ist Freimarkt – aber muss man darüber schreiben? Kommt auf die Perspektive an, beweist die taz.bremen-Serie.

Im Herbst gab es immer noch Fußball in Bremen, aber wir gingen nicht mehr hin. Es war kalt auf dem Freimarkt, und der Wind schob dichte Wolken über den Himmel, und ab und an fiel ein frostiger Regen. Viele Stände öffneten erst mit Einbruch der Dunkelheit. Dann flammten die LED-Birnchen auf, grell wie Blitzlichter, und die Fressbuden schickten ihre Gerüche ins Rennen, und der Wind mischte sie hoch oben in der Luft, und die Leute kamen. Meist wehte der Wind von Süden, manchmal kam er auch vom Meer.

Am Schießstand waren alle Flinten besetzt und Dick bestellte beim Ausschank nebenan ein Bier, um die Sache im Blick zu behalten, wie er sagte, und wir taten es ihm nach,und als das Bier kam, bestellten wir alle gleich ein zweites. Der Plastikbecher war randvoll gezapft und er dellte unter Dicks starkem Händedruck sofort ein, und Dick stellte den Becher schnell auf den Tresen.

Der Freimarkt war laut und dröhnte, aber es war weder Krieg noch Fußball. Wir lehnten mit dem Rücken am Tresen und sahen den Leuten beim Schießen zu und tranken kühles Bier, und als eine Flinte frei wurde ging ich rüber und zahlte, und das Mädchen vom Stand reichte mir das Gewehr mit dem Griff aus Holzimitat. Ich hatte noch nie einen Löwen geschossen, und es war langsam an der Zeit.

„Wie viel Treffer sind ein Löwe, señorita?“, fragte ich.

„Nenn’ mich nicht señorita“, sagte sie und zog einen Flunsch. „Dann also Schätzchen“, sagte ich und legte die Flinte auf die Halterung.

Mein Zeigefinger ruhte am Abzug, und die Backe des Gewehrs schmiegte sich angenehm an die Wange, und ich spürte den sanften Druck des Kolbens gleich unterhalb der Schulter. Dick und die anderen waren mit ihrem Bier zu mir rübergekommen und standen jetzt im Halbkreis um mich herum, und während ich zielte machte Dick hinter meinem Rücken dem Mädchen Zeichen, und ich sah wie sich ihr süßer Schmollmund verzog.

„Er hat noch nie einen Löwen geschossen, señorita“, sagte Dick und sie lächelte. Ich schoss, und es war ein guter Schuss, aber er ging daneben, weil der Lauf der Flinte verbogen war, und die Kugel knallte hart in die Rückwand des Schießstands. Ich hob die Flinte, atmete, lud nach, legte wieder an, visierte erneut. „Du musst etwas drüber zielen“, sagte das Mädchen, „so schräg.“

„Ist es so recht, señorita?“, fragte ich und gab vier Schuss in schneller Folge ab.

Nada, nada y nada y pues nada“, sagte Dick, und das Mädchen lachte, und für einen Moment verspürte ich eine überbordende Lust, Dick den Kolben in die Visage zu rammen, aber dann wischte ich nur den Schweiß vom Holzimitat, legte die Flinte auf den Tresen, sagte, wenigstens habe ich mir kein Bier über die Hose geschüttet, und ging davon, ohne mich umzublicken.

Genau genommen ist ein großes Stofftier eher unpraktisch, wenn man noch Kettenkarussell fahren will oder Wilde Maus und wenn sie flusen, fällt es schwer, einen Liebesapfel zu essen.