TEUFEL IM KLAVIER

■ „Der Musenkuß“ von Thelema Breakpoint im Unart

Der Pianist setzt sich an seinen Flügel, ungeschickt rückt er den Hocker zurecht, beginnt zaghaft zu spielen. Er wird heftiger, das Klavier wankt hin und her, man wundert sich über die Kräfte, die trotz des lauen Spiels freigesetzt werden. Und dann passiert's: Der Deckel des Instruments öffnet sich, eine Hand streckt sich dem erschrockenen Träumer entgegen, ein fast nacktes Monster mit zwei kleinen Teufelshörnern quält sich aus der sarghaften behausung. Zwischen beiden Protagonisten entspinnt sich ein Kampf auf Leben und Tod, Klavier und Trompete, Musiker und Muse.

Der Pianist, der von der Muse geküßt werden will, ist zunächst nicht sehr begeistert von dessen Vorhaben. Der Teufel jagt ihn mit Pauken und Trompeten ums Klavier, seine einzige Gegenwehr ist Geklimpere auf der Tastatur. Die Saiten sind längst herausgerissen, liegen über die kleine Bühne verteilt. Daß der Pianist Donato Deliano überhaupt noch Töne aus dem ausgeweideten Kasten hervorlockt, ist einem technischen Trick zu verdanken, er beackert einen unsichtbaren Synthesizer, der allerlei gesampelte Tonspuren ausspuckt.

Der technische Aspekt ist bei dem „Jazztheater“ allerdings nebensächlich. Hier geht es mehr um große Konflikte als um kleinmütige Wohltemperiertheit.

In dieser Mischung aus Theater ohne Text mit Musik ohne Konzept versuchen die beiden Münchener, die das Spektakel bereits seit zwei Jahren über die Bretter scheuchen, nach eigenen Angaben den Kampf mit der „elften, männlichen Muse“ auszutragen. Wenn die zehnte Muse scherzhaft für Kleinkunst oder Kabarett steht, die ersten neun Göttinnen, also weiblich, sind, bezeichnet die elfte demnach die verzweifelte männliche Jagd durch das musikalische Universum (ja, ja. arme schweine sind wir. ewige jäger und sammler. und verzweifelt dazu. sezza). Da Männer angeblich nicht zärtlich zueinander sein können, müssen sie sich bekämpfen; immer wenn der eine eine betörende Melodie erfindet, muß der andere dazwischengehen, laut auf die Pauke hauen oder Steine auf den Boden werfen .

Dies Spiel, so amüsant tragisch vorgeführt, ist ein recht hinterhältiges intellektuelles Vergnügen. Wenn man sich dabei vorstellt, wie kleine Kinder zum Klavierunterricht geprügelt werden, kann man sich die Nöte solcher virtuosen Mimosen im spätesten Mannesalter ausmalen. Da verwundert es schon nicht mehr, wenn der Pianist sich am Ende des Stücks aus Verzweiflung mittels einer Stahlsaite selbst erdrosselt. Er kommt erst wieder zu Bewußtsein, als der Musenteufel wie Dracula zurück in seinen Klaviersarg geklettert ist. Schnell wird dieser verschlossen und der Schlüssel verschluckt.

Mit Jazz hat dieses Satyrspiel nicht viel zu tun, es ist eher ein theatralisches Musical mit therapeutischem Hintergrund (für wen? sezza). Zu überzeichnet wirken mitunter die Gesten und zu eindeutig die Interpretationsmöglichkeiten. Vielleicht ist der Jazzfan auch einfach enttäuscht über die vorgegebenen Bilder, die man sich beim Konzert sonst selbst erfinden kann.

Andreas Becker

Weitere Termine: 14.-18. und 23.-26.12., 28.12.-1.1., jeweils 21 Uhr, Oranienstraße 163, 1-61.