Syrien und Irak: Scheich Duleimi ruft zum Aufstand
Der Bürgerkrieg in Syrien spaltet die Iraker. Durch einen möglichen Sturz Assads erhoffen sich Sunniten eine Schwächung der Schiiten im Land.
RAMADI taz | Scheich Ali Hatem Suleiman Duleimi sorgt für sein Volk. Auf seiner Farm in Albu Assaf, dem Heimatort seiner Großväter nahe Ramadi im Westirak, hat er für die Dorfbewohner einen kleinen Vergnügungspark und einen Minizoo gebaut. Den Leuten in der Gegend geht es gut. Große Schafherden grasen auf den grünen Feldern, in den Dörfern reihen sich schmucke zweistöckige Villen aneinander, und der Bauboom scheint noch lange nicht zu Ende zu sein.
Wo der Staat oder die Parteien versagen, springt der Stammesscheich ein. Doch an diesem Samstagmorgen geht es nicht um Wohltätigkeiten, sondern um die hohe Politik. „Ich rufe die irakischen Stämme auf, das syrische Volk zu unterstützen“, sagt Duleimi in seiner Ansprache.
Die Stimme des hageren Stammesscheichs hat hier im Kernland der irakischen Sunniten Gewicht. Seine öffentliche Parteinahme für die Aufständischen in Syrien bestärkt die Befürchtungen, dass sich der Konflikt im Nachbarland weit über die Grenzen ausweiten könnte.
In amerikanischen Geheimdienstkreisen geht man davon aus, dass der irakische Zweig der Terrorgruppe al-Qaida für die schweren Anschläge der vergangenen Wochen in Syrien verantwortlich ist. In seiner jüngsten Untergrundbotschaft hat Al-Qaida-Chef Ajman as-Sawahri die Muslime im Irak, Jordanien, Libanon und der Türkei zum Kampf gegen Assads Regime aufgerufen.
„Assad muss weg“
Ramadi war wie die gesamte Provinz Anbar früher eine Hochburg der Terroristen. Bis ihnen Männer wie Duleimi den Kampf ansagten. Assad habe damals die Terroristen unterstützt, genau deshalb unterstütze er heute den Aufstand gegen sein Regime, sagt er. Einzelheiten will er nicht nennen. „Wir springen dort ein, wo der Westen und die arabischen Länder versagen“, sagt Duleimi im Gespräch. „Assad ist ein Lügner und Schlächter. Er muss weg.“
Rund 300 Männer in schwarzen Roben mit goldenen Bordüren sind auf die abgelegene Farm gekommen. Duleimi begrüßt jeden einzeln mit Handschlag und dem traditionellen Kuss auf die Schulter. Die Stimme des Duleimi-Prinzen hat Gewicht. Die Duleimi sind eine der größten Stammesförderationen in der Region, ihr Siedlungsgebiet reicht von Syrien über den Irak und Jordanien bis nach Saudi-Arabien. Seit der Machtübernahme der Schiiten im Irak fühlen sie sich jedoch eingezwängt zwischen Teheran und Syrien.
Die Unterstützung für die Rebellen in Syrien ist auch eine Kampfansage an die schiitische Regierung in Bagdad. Vor zwei Jahren hatte sich Duleimi noch hinter Regierungschef Nuri al-Maliki gestellt. Heute wirft er dem Schiiten vor, eine Diktatur von Irans Gnaden aufzubauen. Erfolgreich hat Maliki in den letzten Monaten seinen sunnitischen Koalitionspartner an den Rand gedrängt.
Hunderte Sunniten säßen unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung unschuldig im Gefängnis, sagt Duleimi. Dass gegen den sunnitischen Vizepräsidenten Tarik Haschemi ein Haftbefehl wegen angeblich 150 Terror- und Mordanschläge erging, sehen viele Sunniten als Dolchstoß. „Wir planen keinen Staatsstreich“, sagt er in seiner Rede. „Aber die Regierung muss ihren Kurs korrigieren und die versprochenen Reformen einleiten.“
Ein Scheich, der sich nur Abu Abdulla nennt, wird deutlicher. „Wir müssen dem arroganten Perserregime das Rückgrat brechen. Zuerst in Syrien und dann in Bagdad.“
Tiefes Misstrauen gegen Sunniten
Andere betonen dagegen, dass sie nur aus humanitären Gründen Hilfe für die syrischen Oppositionellen fordern. „Assad ermordet unschuldige Zivilisten“, sagt ein Geschäftsmann aus Ramadi. „Wir müssen den Menschen helfen, allerdings nicht mit Waffen, das bringt nur noch mehr Blutvergießen.“ Wie der Händler sprechen viele in von moralischer Unterstützung.
Unter den Schiiten schürt die Welle der Solidarität das tief sitzende Misstrauen gegenüber den Sunniten. Sie glauben, dass die Minderheit, die Jahrzehntelang das Land beherrschte, erneut an die Schalthebel der Macht zurückkehren will. Zwar betonen schiitische Politiker, dass auch sie für einen demokratischen Wandel in Syrien seien. Doch die Regierung schweigt hartnäckig zu den Verbrechen des Regimes von Assad. Insgeheim unterstütze die Regierung das Regime mit Waffen, behaupten die Scheichs in Ramadi.
So spaltet der Konflikt in Syrien auch die Iraker. Dabei wollen auch die Sunniten keinen erneuten Krieg mit den Schiiten. In seiner Rede gibt sich der Duleimi-Prinz verbindlich. Dies sei der Auftakt für die „erste wirkliche Opposition im Irak“, sagt er. In seiner noblen Villa in Bagdad wird er jedoch deutlicher. Der Sturz von Assad ist der erste Schritt, um das sektiererische Regime zu stürzen“, sagt er in einen schweren Goldsessel gelehnt.
„Wir wollen das friedlich erreichen. Notfalls greifen wir Stämme aber auch zu den Waffen.“
Leser*innenkommentare
Ant-iPod
Gast
Es macht mich traurig, dass bei so vielen Menschen die Religion eine solch fatale Rolle spielt.
Ist die Botschaft sowohl des Christentums, als auch des Islams in ihrem Kern eine sehr menschliche, versöhnliche und friedliche, so wird sie offensichtlich vielerorts missbraucht, um ganz andere Ziele zu verfolgen.
Ich bin nach intensivem Studium diversester Quellen und unzähliger Videos zwar zu dem Schluss gelangt, dass die Basis für die Erhebung des Volkes gegen die Arabischen Diktatoren durchweg politisch und nicht religiös motiviert ist und es macht mich traurig, wenn hier sofort wieder das Schreckgespenst der Fanatiker an die Wand gemalt wird.
Dennoch kann man diese Befürchtungen nicht alle einfach abstreiten, sondern muss sich sachlich damit auseinandersetzen.
Das würde in so einem Kommentar zu weit führen, aber der Artikel ist doch schon einmal ein Ansatz, oder? Als solcher ist er zu begrüßen.
Ich kann allerdings zwei Dinge bei den Arabern verstehen:
1. Das sie keine lupenreinen Demokraten nach unserem Verständnis sind - denn woher sollten Sie nach Jahrzehnten der Diktatur dieselbe politische Prägung haben, wie wir, die wir seid Jahrzehnten in der Demokratie leben.
Das muss doch gar nicht schlimm sein, denn wir haben uns ja auch dahin erst entwickeln müssen und gerade bei uns Deutschen hat dies ja ein wenig gedauert.
Warum haben wir also Angst und lassen den Menschen nicht einfach die Gelegenheit und Zeit sich zu entwickeln?
2. Das die oftmals religiöser sind, als wir es in unseren säkularen Republiken gewohnt sind.
Auch wenn der Bibel-belt vielleicht eine Aussnahme spielt, so muss man verstehen, dass im Ausnahmezustand und unter Verbot vieler Parteien die Moschee der einzige Ort ist, an dem größere Gruppen zusammen kommen und reden können in einer Diktatur. Die geistlichen stehen auch weniger in Verdacht, mit der Herrscherclique in einem Boot zu sitzen - eben weil sie mit dem Volk reden. Zudem kommt, dass nach dem 11. September und der darauf folgenden Stigmatisierung der Muslime diese darauf reagiert haben, dass sie noch dichter zusammenstehen und sich an ihren Werten orientieren - arabische Staaten in den 60er und 70er Jahren waren nicht so religiös, wie sie dies heute sind.
Wenn man diesen Menschen in Tunesien und Ägypten und den anderen Ländern die Chance gibt, diejenigen zu wählen, denen sie vertrauen, dann können sie nach vier Jahren feststellen, dass die religiösen auch nur mit Wasser kochen und keine Jobs und Wohlstand herzaubern können und etwas anderes wählen.
Wenn ich aber schon vorweg alles Religiöse unterbinden will und verbiete - wo bleibt dann die Demokratie?
Worin unterscheide ich mich dann von den religiösen Betonköpfen?
Die Gewaltbereitschaft und das Misstrauen der Araber untereinander ob ihrer Religionszugehörigkeit finde ich bedenklich - aber ich traue ihnen zu, dies zu überwinden, wenn man sie denn nur lässt und nicht aus Angst vor vermeintlichen Radikalen schon einen Diktator durch eine andere Diktatur ersetzt.
Dirk
Gast
Sorry, es musste natürlich heißen: Danke an die taz, dass sie sich n i c h t an dem widerlichen Agitprop ... beteiligt.
end.the.occupation
Gast
Wenn sich Sunniten und Schiiten zerfleischen - am besten mit unseren Waffen - dann nutzt das den USA, den Europäern und Israel sowieso.
Auf diese Strategie setzt der Westen bekanntlich erst seit 30 Jahren - mittlerweile auch mit einem taz- und GRÜNEN-kompatiblen Menschenrechtszuckerguss ...
Dirk
Gast
In amerikanischen Geheimdienstkreisen geht man davon aus, dass der irakische Zweig der Terrorgruppe al-Qaida für die schweren Anschläge der vergangenen Wochen in Syrien verantwortlich ist."
Danke an die taz, dass sie sich an dem widerlichen Agitprop der Fernsehsender und meisten Presseorgane beteiligt, die gleich wussten, dass wohl Assad selbst hinter den Anschlägen stecken müsste.
Ceterum censeo: Wenn Assad auf blutigem Wege beseitigt wird, wird Syrien in einem Religionschaos versinken, das dem im Irak in nichts nachsteht. Und unsere denkfaulen Medienfutzis werden sich mal wieder verwundert die Augen reiben und sich wundern, dass die "Freiheitskämpfer" keine lupenreinen Demokraten sind.