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Sympathieträger mit Brief und Siegel

■ NachbarInnen protestieren gegen die neue Post: Unser Briefträger soll bleiben

Postreform und kein Ende, maulen die AnmwohnerInnen der Kohlhökerstraße und protestieren: Wir wollen unseren Briefträger behalten. Die ganze Straße will das, inklusive den Frauen Aumund und Wegeleben, auch wenn die zusammengerechnet noch nicht länger als drei Jahre im Viertel wohnen: „Der Herr Böhme ist so freundlich“. Mit 60 anderen UnterzeichnerInnen appellierten die beiden an die Einsicht der Oberpostdirektion, ihren Zusteller nicht wie geplant ins Häfenviertel „abzuziehen“. Herbert Böhme ist für sie nicht zu ersetzen.

Seit 32 Jahren kennt man den Briefträger und der kennt seine Leute: Der Krimiautor Jürgen Albers öffnet ihm die Tür im Schlafanzug, die Nachbarin bietet dem Briefträger manchmal Kaffee an – und demnächst wird Herbert Böhme sogar zum Essen eingeladen. Diese Gemeinschaftsaktion – „man lädt welche ein, die man noch nicht kennt“ – gibt es noch nicht lange. Sie begann, nachdem einem Nachbarn am hellichten Tag die Bude ausgeräumt und ein paar Ecken weiter ein taz-Austräger nachts überfallen wurde. Dagegen wird Nachbarschaftshilfe gesetzt: „Wenn hier was passiert, sollen die Fenster aufgehen – nicht zu“, sagt Rena Czarnetta. Logisch, daß man da Partei für den Briefträger Böhme ergriff, den Sympathieträger, dem alle vertrauen.

„Der Einsatz für unseren Mann freut uns“, sagt dazu Karl-Heinz Antelmann, Sprecher der Postdirektion. „Aber wir können keine Ausnahme machen. Das würde eine Lawine lostreten.“ Denn nicht nur Böhme muß sich verändern, alle KollegInnen sind dran: Die Zustellbezirke werden bundesweit neu strukturiert. In Bremen kann es sich nur noch um Wochen handeln, bis es soweit ist. Der 6. Februar, der ursprüngliche Stichtag, wurde nur wegen einer fehlenden Betriebsvereinbarung verschoben. Nach dem Stand der Logistik könnte es schon morgen losgehen.

Im Innenstadtbereich werden dann knapp die Hälfte der BürgerInnen „ihren Zusteller“ nicht mehr wiedersehen, schätzt Antelmann. Die 193 Bezirke, die es zu Jahresbeginn noch gab, sollen auf 178 schrumpfen – nicht, weil die Postler schneller wurden, sondern weil die Postmenge abnahm, sagt Antelmann. Faxe, Telefon und eine Konkurrenz, die nicht schläft, werden in absehbarer Zeit bundesweit 17.000 Postarbeitsplätze kaputtmachen, fürchtet er. Die Umstrukturierung sei unabhängig davon schon lange fällig gewesen. Für den Einzelnen bedeute sie nicht mehr Arbeit, im Gegenteil: „Wir haben errechnet, daß Herr Böhme beispielsweise zur Zeit mehr als 38,5 Stunden arbeitet muß. Deshalb soll sein Bezirk kleiner werden.“ ede

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