Sweet Home Atlanta: Mordlust im Gesicht
■ Die Heimtücken des olympischen Nahverkehrs drohen auch Samaranch
Wer gerne die wüstesten Flüche in allen möglichen Sprachen lernen möchte, braucht sich im Moment nur in den olympischen Nahverkehr zu begeben. Ob auf den überfüllten Bahnsteigen des U-Bahn-Systems MARTA oder an den Bushaltestellen für Zuschauer und Presse, überall das gleiche Bild: Menschen, die lauthals vor sich hinschimpfen, die Augen ergeben und resigniert gen Himmel verdrehen oder jenen armen Volunteers Vorwürfe machen, die sichtlich beschämt an den buslosen Stops Wache halten müssen und am wenigsten für die Misere können.
Daß die Organisatoren sportlicher Ereignisse in den USA vorzüglich dazu in der Lage sind, 80.000 Leute zügig von einem Football-Stadion nach Hause zu schleusen, sofern jeder einzelne mit seinem Auto kommt, aber total überfordert sind, wenn sie das Gleiche mit öffentlichen Verkehrsmitteln schaffen sollen, hat sich schon bei der Fußball-WM gezeigt. Damals war die Station der Vorortbahn zum Stanford-Stadion in San Francisco vor dem ersten Spiel von 5.000 Brasilianern umzingelt, weil nur ein Kassenhäuschen geöffnet war und niemand daran gedacht hatte, mehr als die regulären, alle ein bis zwei Stunden fahrenden Züge einzusetzen.
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Auch vor der Eröffnungsfeier in Atlanta quollen die Bahnsteige der MARTA über, weil viel zuwenig Züge kamen. Danach standen dann Fotografen, Journalisten und der Teil der Zuschauerschaft, der törichterweise den Appell, nicht mit dem Auto zu kommen, befolgt hatte, stundenlang an den Haltestellen – Mordlust im Gesicht und bereit, jeden sich bietenden Bus mit roher Gewalt zu entern. Zum Glück kam keiner.
Den recht kurzen Weg von einem Basketballspiel im Morehouse College zu dem nächsten eine Stunde später im Georgia Dome per Olympiatransport in weniger als zwei Stunden zurückzulegen, ist fast unmöglich. Die Busse scheinen immer dann zu fahren, wenn die Matches im Gang sind, danach aber nicht mehr. Außerdem gibt es keine direkten Verbindungen. Man muß erst zu einem Sammelpunkt und dort umsteigen.
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Bleibt MARTA, die aber völlig überlastet ist. Hatte das U-Bahn-System am Sonntag vor einer Woche noch 160.000 Fahrgäste zu transportieren, waren es am letzten Samstag schon geschätzte 1,1 Millionen. Während der Woche kommen die Pendler hinzu. Rolltreppen machen schlapp, Durchgänge sind verstopft und statt wie geplant im Dreiminutentakt zu fahren, lassen die Züge manchmal eine halbe Stunde auf sich warten. Zum Aus- und Einsteigen benötigt man die Durchsetzungsfähigkeit eines American- Football-Spielers. Die Bahnsteige gleichen denen in Mexico City oder Tokio zur Rush-hour, bloß fehlen die robusten Kerle, die dort die Menschen gewaltsam in die Züge pferchen.
Ein klein wenig wettgemacht wird die permanente Nahverkehrstortur durch die charmante Unerschütterlichkeit der Busfahrerinnen und Busfahrer, die irgendwann dann doch eintreffen. Da macht es nichts, daß die Straßen häufig verstopft sind und sich der eine oder die andere auch hin und wieder heftig verfährt. Man ist ohnehin so froh, einen Bus erwischt zu haben, daß man ihn am liebsten gar nicht mehr verlassen möchte.
Darüber hinaus gibt es eine süße Gewißheit, die über alle Widrigkeiten hinwegtröstet. Irgendwann in den nächsten Tagen wird man aus seinem Busfenster auf die Stufen des Marriott Marquis schauen und dort Juan Antonio Samaranch erblicken, der bitterlich weint, weil seine Luxuslimousine nicht kommt. Wäre doch gelacht, wenn Billy Paynes Organisationsgenies das nicht auch noch hinkriegen würden. Matti
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