Svenja Bednarczyk Ausgehen und rumstehen: Die Marke, die früher nur Arbeiterkinder trugen
Freitagabend, ich treffe Freund V. Statt mich zu begrüßen, grüßt er meinen Schal. „Fila! Wie cool. Kann man das wieder kaufen?“ 39,00 Euro. Klassischer Schal mit auffälligem Markenlogo. Die Abschlüsse aus Rippstrick machen das Design perfekt. (Urban Outfitters). „Das haben in den Neunzigern nur die Arbeiterkinder getragen“, sagt er. „Die Kinder, deren Eltern sich Buffalo und Dickies nicht leisten konnten.“ Mit diesem Satz hat V. Fila für mich re-branded – von der Marke mit etwas 90er-Nostalgie zum sozialen Code. Früher wollte man das Stigma möglichst bald ablegen. Jetzt trägt man es als ironisches Zitat.
V. und ich fahren zum Arkaoda. 1999 wurde der Club in Istanbul eröffnet, seit Freitag gibt es ihn auch in Berlin. Die Tanzfläche im Keller war mal eine Kegelbahn. Davon ist nichts mehr übrig, stattdessen gibt es Neuköllner Hipsterbarock: Wände ohne Tapeten, Orientteppich auf Estrich, Möbel im Retrochic. Die Balea-Handseife auf der Toilette erinnert an ein braunes Apothekerfläschchen. 2,95 Euro je 475 ml. Die Balea Handseife No. 12 Hafer & Sanddorn reinigt Ihre Hände sanft und erhält die Feuchtigkeitsbalance der Haut. (DM). Das geschulte Markenauge erkennt jedoch die Anlehnung der Verpackung an die Luxusseife Aesop. 31 Euro je 500 ml. Irgendwie hat es Aesop geschafft, Handreinigung zum Statussymbol zu machen. Wer heute eine Party gibt und auf sich hält, achtet jedenfalls auf namhafte Seife im Bad. (Süddeutsche Zeitung).
Es ist zu voll bei der Eröffnung, wir wechseln zu einer Soliparty in Friedrichshain. Dort gibt es gar keine Seife auf den Toiletten. An der Wand in großen Buchstaben ein Bekenntnis zum Kommunismus. Aber auch hier kann man Marken lesen. Getragen werden Pullover von Fred Perry, Jacken von The North Face, Schuhe von Dr. Martens. Keines dieser Kleidungsstücke ist unter 100 Euro zu haben. Aber sie haben den Ruf, Marken linker Subkultur zu sein: Die Stiefel von Dr. Martens stehen bereits seit Generationen für rebellischen Style und Anti-Mode. Hol dir die kultigen Lederstiefel, die jedem Look ein rebellisches Finish verleihen. (Asos).
Am Samstag begehe ich einen ehemaligen DDR-Gebäudekomplex in Oberschöneweide. Bevor die Gruppe das Foyer betritt, sagt der Guide: „Hier fand gestern eine Geburtstagsparty statt, es wurde noch nicht aufgeräumt. Bitte fassen Sie nichts an.“ Wir treten auf schwarz-roten Marmorboden, der, bevor er hierherkam, angeblich in der Reichskanzlei verlegt war. Die Wände sind mit pompösen Holzfassaden verkleidet. Monsterapflanzen, Designersessel wurden für die Party hingestellt, Essensreste auf Schiefertellern wurden nicht aufgeräumt. Im Zentrum des Raums thront eine dicke Anlage mit DJ-Pult. Dass das Geburtstagskind 25 Jahre alt wurde, zeigen goldfarbene Ballons.
Hinten in der Ecke ist der Geschenktisch noch gedeckt. Zwischen riesigen Blumensträußen stehen Dutzende Geschenktüten. Es wurde Gold verschenkt. Das Logo des Goldhändlers Degussa erkenne ich. Doch keine der anderen Marken sagt mir etwas. Eine andere Welt. Welche Zeitungen muss man lesen und wo muss man einkaufen, welche Eltern muss man haben, um diese Codes zu kennen?
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