piwik no script img

Sven Amtsberg über deutsche Städte"Ich war vor Ort, um keinen Quatsch zu erzählen"

Das Buch "Die Wahrheit über Deutschland" versammelt Sightseeing-Touren durch sieben Städte. Der Hamburger Autor Sven Amtsberg ist dafür durch die Gegend gereist und hat verblüffende Erkenntnisse gewonnen, die unmöglich gelogen sein können.

Könnte niemals lügen: Der Autor Sven Amtsberg. Bild: Stefan Malzkorn
Klaus Irler
Interview von Klaus Irler

taz: Herr Amtsberg, Ihr Städtetouren-Buch "Die Wahrheit über Deutschland" führt den Leser durch sieben deutsche Großstädte. Gibt's nicht schon genug Stadtführer?

Sven Amtsberg: Ja, aber in allen steht dasselbe. Mir ging's darum, mit dem Finger auf Orte zu zeigen, die in anderen Städteführern nicht erwähnt werden. Die keiner beachtet. Man sieht das ja auch, wenn man in den Städten unterwegs ist: überall die Menschenmassen immer an den selben Orten. Aber bei den wirklich schönen Flecken steht niemand.

Wenn Sie ein Erlebnispaket schnüren müssten mit den Top-3-Sights in Hamburg - welche wären das?

Was ich bedeutend finde, ist der Amilia-Rodrigues-Weg im Stadtteil Bahrenfeld. Das ist eine Straße in einem Gewerbegebiet, die nach einer portugiesischen Fado-Sängerin benannt worden ist. Sie endet auf einem Wendeplatz, es handelt sich um eine Sackgasse. Das ist ein Ort, an dem ich gerne bin. Außerdem muss mit ins Paket ein Stückchen Elbe und ein Stückchen Kiez, oder nicht?

Was denn für ein Stückchen Kiez?

Eine Eckkneipe, weil das Hamburg ist. Davon gibt auch kaum noch welche.

In ihrem Buch erzählen Sie, wie die Reeperbahn entstanden ist. Namensgeber war der Reeper, haben Sie herausgefunden. Was ist das?

Der Reeper ist ein Pferd, das früher nackte Menschen zur Belustigung die Straße hoch- und runterzog. Damals gabs ja kaum was. Das Leben war von Entbehrung geprägt, und die Menschen brauchten Amusement. Das ist der Grundstein für die Reeperbahn, wie wir sie heute kennen. Heute ist das ja alles filigraner geworden mit der Nacktunterhaltung.

Sven Amtsberg

39, geboren in Hannover, lebt als freier Autor und Verleger in Hamburg. Das Gründungsmitglied des "Macht-Club" rief 1995 den Schwamm-Verlag ins Leben.

Wie kamen die Nackten mit der Hamburger Witterung klar?

Na ja, so war das früher eben. Das Leben war sauhart. Die Leute sind ja auch nicht alt geworden. Die waren auch größtenteil sowieso mehr nackt als heute.

Von welchem Jahrhundert sprechen wir?

16.

Nun sind Sie ja auch im Süden gewesen, in München.

Ja, ich habe mir alles angeguckt. Um keinen Quatsch zu erzählen.

Wie gehts einem Hamburger in München?

Gerade wenn man aus dem Norden kommt, ist das ein ganz anderes Land. Ich hatte - jetzt ohne Flachs - Mühe, die Leute da zu verstehen. Ich war da in einer Kneipe, da hat die Wirtin gesagt, dass alle mal ruhig sein sollen. Dann ist sie mit einer großen Glocke rumgegangen, hat dagegen gehauen, und alle mussten sich vorstellen, sagen, wie sie heißen und woher sie kommen.

Wie reagierten die Bayern auf Ihre Sprachschwierigkeiten?

Die Bayern haben schon so einen Gefühlsüberschwang, hat man das Gefühl. Die Leute gehen auf einen zu. Ich war sehr angetan. Auch von der Wirtschaftskultur, dass man viel isst und viel trinkt. Ich fände schön, wenn es das auch in Hamburg geben würde. Aber das wird schwer.

Dafür gibt es in Hamburg die Punks-und-Teds-Festspiele, steht in Ihrem Buch.

Ja, punkmäßig ist München ganz hinten dran. Da ist Hamburg mit die Speerspitze, zusammen mit Hannover.

Und was sind das nun für Festspiele?

Die finden jedes Jahr im Sommer im Hamburger Karoviertel statt. Die Leute verkleiden sich als Ted oder Punk und spielen dann die bedeutenden Schlachten nach. Man trifft sich dazu am Bioladen bei der "Marktstube". Natürlich ohne Gewalt, nur mit Spaß. Da müsst ihr in der taz mal einen Sonderbericht darüber machen. So ein bisschen wie Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg - nur mit Punks und Teds.

Kommen denn alle Beteiligten aus Hamburg? Oder werden die Spieler wie beispielsweise beim Hamburger SV auch von außen engagiert?

Die kommen aus der ganzen Welt. Das ist so ein bisschen wie Chaos-Tage auf nett.

Was gibts zu trinken?

Eierflip. Das Ted-Party-Getränk Nummer eins. Der Dickmacher der Unangepassten. Und Bier in rauen Mengen.

Das klingt nach einem reinen Sauffest.

Nein. Um Gottes Willen. Das wird auch viel zitiert von Punk-Vordenkern wie Friedrich Nietzsche, Hölderlin, Hermann Hesse. Es gibt auch Diskussionsrunden. Umsonst und draußen. Es ist eine generationsübergreifende Wohlfühlveranstaltung für die ganze Punk-und-Ted-Familie.

Fehlt Ihrem Buch nicht ein bisschen die Folklore?

Ich habe versucht, dem ganzen einen modernen Anstrich zu geben. Und ein Buch zu schaffen, das für jung und alt gleichermaßen die Gaben bereit hält. Ein Spagat zwischen modernen Dingen und volkstümlichen Sachen. Teds und Punks gemischt mit der Sage der Reeperbahn. Auch volkstümliche Sachen. Geschichten mit Herz.

Warum kommt Hannover nicht vor?

Ich musste mich beschränken. Es kommt Langenhagen vor, wo ich herkomme. Zu Hannover wollte ich gerne einen Sonderband machen. Als nächstes.

Und wie steht es mit Kiel, Lübeck, Bremen - den anderen Perlen des Nordens?

Hätte ich große Lust zu. Vielleicht mache noch mal ein, zwei, drei Sonderbände Norddeutschland. Ein Lübeck-Special. Oder ein Plön-Special. Das ist auch eine ganz schöne Ecke.

Sven Amtsberg: "Die Wahrheit über Deutschland. Städtetouren für Besserwisser". Rowohlt 2011, 272 S., 11,99 Euro. Die nächste Lesung - am 5. 12. in Hamburg - ist bereits ausverkauft

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!