Susanne Messmer möchte weiterhin gern Unterschiede machen: Danke, Rainald Grebe
Genau vier Jahre ist es her, dass ich exakt an dieser Stelle zu begründen versuchte, warum ich meinem damals fünfjährigen Sohn erlaubte, zum Fasching Federschmuck auf dem Kopf und eine braune Jacke mit Lederfransen zu tragen. Grob zusammengefasst ging meine Argumentation so, dass ich versuchte, einen Unterschied zwischen kultureller Aneignung und kultureller Wertschätzung zu machen, also cultural appropriation vs. cultural appreciation.
Ich versuchte zu vermitteln, dass ich meinem Sohn nicht einfach bloß erlaubte, an einem Tag im Jahr wie ein Angehöriger der indigenen Bevölkerung Nordamerikas herumzulaufen, sondern auch, dass ich ihm alles, was daran hing, gleich miterklärte: die Kritik an dieser Kostümierung, den Genozid, den anhaltenden Rassismus. Das Ergebnis war, dass ich nicht verstanden wurde und von einigen unserer Leser*innen recht rüde beschimpft wurde.
Vier Jahre sind eine lange Zeit. Mein Sohn ist inzwischen neun und möchte sich nur noch zu Halloween als furchterregendes Monster verkleiden. Und während letztes Jahr noch darüber diskutiert wurde, dass die Fridays for Future eine weiße Liedermacherin wegen ihrer Dreadlocks ausgeladen hatten, zucken heute nur noch alle gelangweilt mit den Schultern, wenn auch Liedermacher Rainald Grebe, weithin bekannt für seinen schönen Smash-Hit „Brandenburg“, die Zeichen der Zeit erkannt hat und auf seine fast schon ikonische Kopfdekoration verzichtet: „Wenn man Federschmuck aufsetzt, schauen gewisse Generationen gar nicht mehr drauf. Die klicken das weg“, soll er gesagt haben – und das, wie ich auch schon vor vier Jahren gefunden hätte, machen diese gewissen Generationen sehr richtig.
Trotzdem bin ich nach wie vor eine große Anhängerin der differenzierten Betrachtung. Für mich ist es immer noch etwas Anderes, wenn ein kleiner Junge, der am liebsten im Wald leben würde, dessen Lieblingsfußballer Kylian Mbappé ist und der jedem bettelnden Menschen all sein Taschengeld gibt, Federschmuck tragen möchte – oder eben ein alter, weißer Mann, der mit demselben Schmuck bislang seine Musik vermarktet hat und der diese Verkleidung übrigens auch deswegen ablegt, weil genau das nun nicht mehr zu funktionieren scheint.
Ich halte es für einen Unterschied, ob eine Sängerin wie Ronja von Maltzahn auf ihren Promofotos keck mit Dreads posiert oder eine Bekannte Dreads trägt, die vermutlich mehr über die Rastafari-Bewegung weiß als die meisten Historiker*innen und ungefähr der hilfsbereiteste und großzügigste Mensch ist, den ich kenne. Vielleicht könnten wir jetzt allmählich mal anfangen, auch über solche Unterschiede zu sprechen. Danke, Rainald Grebe.
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