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Archiv-Artikel

Supreme Court verhandelt Guantánamo-Fälle

Oberstes Bundesgericht der USA wird bis Anfang Juli über den Status der bislang rechtlosen Häftlinge urteilen

WASHINGTON dpa/taz ■ Dürfen die 600 Gefangenen auf dem US-Militärstützpunkt Guantánamo Bay US-Bundesgerichte wegen ihrer Haft anrufen? Die Bush-Administration verneint dies bislang. Sie musste ihren Standpunkt am Dienstag erneut verteidigen – diesmal vor dem Obersten US-Bundesgericht in Washington. Dieses hatte die Klage von 16 Gefangenen angenommen, da es sich um eine Grundsatzfrage handele. Mehrere der neun RichterInnen des Supreme Court zeigten durch ihre kritischen Fragen, dass sie nicht unbedingt den Standpunkt der Regierung teilen.

„Es widerspricht der Idee der Gewaltenteilung, wenn die Exekutive tun kann, was sie will, ohne dass dies überprüft werden kann“, sagte Richter Stephen Breyer.

Auf der Basis Guantánamo werden mehr als 600 mutmaßliche Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer aus 40 Ländern ohne Anklage und Zugang zu Anwälten festgehalten. Sie gerieten nach den Anschlägen vom 11. September in Afghanistan und Pakistan in Gefangenschaft. Die Kläger nennen Guantánamo deshalb eine „gesetzlose Enklave“. Aus Sicht der US-Regierung sind die dort Inhaftierten „ungesetzliche Kämpfer“, die nicht nach dem humanitären Völkerrecht als Kriegsgefangene behandelt werden müssen.

Die Richter müssen auch entscheiden, ob der seit 1903 von den USA gepachtete Militärstützpunkt der US-Gerichtsbarkeit unterliegt. Dann würden für die Inhaftierten die von der US-Verfassung garantierten Rechte gelten. Die Bush-Administration bezeichnet Guantánamo als „Ausland“ und stützt sich dabei auf ein über 50 Jahre altes Urteil. Nicht alle Richter teilten diese Ansicht, da es damals um Gefangene ging – 21 Deutsche, die nach der Kapitulation Hitler-Deutschlands auf japanischer Seite gekämpft hatten –, die zumindest von Militärgerichten verurteilt worden waren.

Für die Kläger sprach der 79-jährige frühere Bundesrichter John Gibbons, der als junger Soldat in Guantánamo stationiert war. Er bestritt jegliche kubanische Zuständigkeit für das von den USA kontrollierte Territorium: „Kubanische Gesetze gelten dort nicht. Ein Brief mit einer Briefmarke, auf der Fidel Castros Kopf zu sehen ist, würde dort nicht weiterbefördert.“

Der Fall wird nicht nur in den USA mit großem Interesse verfolgt, da es um das Verhältnis von Freiheitsrechten zu den Erfordernissen nationaler Sicherheit sowie um die Gewaltenteilung geht. Sollten die Kläger Recht bekommen, können sie gegen ihre Haft vor US-Bundesgerichten klagen – ihre Freilassung bedeutet dies nicht unbedingt.

Bisher sind 146 Häftlinge aus Guantánamo entlassen worden, von denen zwölf in ihren Heimatländern weiter gefangen gehalten werden. Gegen sechs Guantánamo-Häftlinge ist ein Verfahren vor US-Militärgerichten eröffnet worden. Zu den Gefangenen gehört auch der Deutschtürke Murat Kurnaz aus Bremen. Er war im Oktober 2001 nach Pakistan gereist und Anfang 2002 von US-Militär festgenommen worden. Unklar ist bislang, in welcher Beziehung er zum gestürzten Taliban-Regime stand. STEFAN SCHAAF