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Süssmuth: Abtreibungsrecht neu regeln

■ „Dritter Weg“ zwischen Fristen- und Indikationslösung / Streichung des § 218 gefordert Statt dessen „Lebensschutzgesetz“ / Nach Pflichtberatung Straffreiheit in den ersten Wochen

Bonn (dpa/afp/taz) - Rita Süssmuth ging gestern in Bonn zusammen mit der Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, Ingeborg Retzlaff, für ihren „dritten Weg“ zwischen Indikations- und Fristenlösung in die Offensive. In einem geeinten Deutschland, so der Vorschlag der prominenten CDU -Politikerin, sollen ungewollt schwangere Frauen nach einer vorgeschriebenen umfassenden Beratung in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten selbst entscheiden, ob sie das Kind bekommen können. Strafbar soll danach nur noch ein Schwangerschaftsabbruch ohne die vorgesehene Pflichtberatung sein. Rita Süssmuth wandte sich zugleich gegen unterschiedliche Rechtsgebiete in Ost und West. Eine Lösungsperspektive für ein einheitliches Recht müsse bereits im Einigungsvertrag aufgenommen werden.

Süssmuth ist somit dafür, den Paragraph 218 im Strafgesetzbuch zu streichen. Dafür soll ein umfassendes Gesetz zum „Lebensschutz“ geschaffen werden, in dem auch Fragen des Embryonenschutzes, der Organverpflanzung und des sterbenden menschlichen Lebens geregelt werden könnten. Der Schutz des ungeborenen Lebens soll darüberhinaus im Grundgesetz verankert werden.

Nach den Vorstellungen von Süssmuth und Retzlaff soll die in der Bundesrepublik geltende Indikationsregelung grundsätzlich beibehalten werden. Danach ist eine Abtreibung nur bei bestimmten medizinischen, ethischen oder sozialen Gründen legal. Allerdings soll die betroffene Frau, nachdem sie sich ausführlich hat beraten lassen, selbst entscheiden können, ob ihre Gründe so schwerwiegend sind, daß sie die Schwangerschaft nicht austragen kann. Die Frau kann den Schwangerschaftsabbruch dann unter Vorlage der Beratungsbescheinigung, die deren Inhalt zusammenfaßt, bei einem Arzt ihrer Wahl vornehmen lassen. Zwischen Beratung und Abruch soll eine dreitägige Karenzzeit liegen. Frauen müßten sich dann nicht mehr bei einem Arzt oder Ärztin das Vorhandensein einer Indikation bestätigen lassen.

Ziel der obligatorischen Beratung müsse es sein, den Konflikt zwischen dem „Lebensrecht des ungeborenen Kindes“ und den Bedrängnissen der Frau deutlich zu machen. „Den Gewissensentscheid kann ihr niemand abnehmen. Sie ist Hauptbetroffene und sollte nach Beratung mit Dritten auch die persönliche Verantwortung tragen und die Entscheidung treffen“, unterstrich Süssmuth.

Die Politikerin erklärte, ihr Vorschlag sei bisher „nicht abgestimmt“ und nur „im kleinsten Kreis“ diskutiert worden. Süssmuth sprach ausdrücklich nicht als Bundestagspräsidentin, sondern als Vorsitzende der Frauen -Union der Christdemokraten.

Der Lebensschutz könne dabei nicht wirksam ohne sozial flankierende Maßnahmen verbessert werden. Die deutsche Einigung müsse anders sein, bei Hilfe und Beratung zugunsten von Mutter und Kind „in eine neue Größenordnung verbindlich vorstoßen“.

Die CSU wies den Vorschlag als Beweis für eine „feministische Schlagseite“ von Frau Süssmuth zurück. CSU -Generalsekretär Erwin Huber kritisierte den Plan als „verfassungswidrig“ und betonte, er widerspreche den Grundsätzen christlicher Politik.

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