piwik no script img

■ Südafrika: Wahlen contra ethnozentrische PolitikDer Mythos KwaZulu

Ende April soll der formale, verfassungsrechtliche Schlußstrich unter mehr als 40 Jahre Apartheid gezogen werden – unter eines der übelsten Projekte gesellschaftlicher Entwicklung, das die Moderne hervorgebracht hat. Erstmals wird es in Südafrika Wahlen nach dem Prinzip „Eine Person, eine Stimme“ geben. Der Skandal soll verschwinden, daß Menschen mindere oder keine politischen Rechte erhalten, weil sie einer bestimmten „Rasse“ oder einem „Volk“ zugerechnet werden.

Aber ein abrupter Machtwechsel steht nicht an – anders, als wohl die meisten Südafrikanerinnen und Südafrikaner sich das über Jahrzehnte hinweg erhofft hatten. Die künftige Regierung wird mit den alten Apparaten in Verwaltung, Polizei und Militär zurechtkommen müssen. Für die erste, bis 1999 dauernde Legislaturperiode bedeuten 5 Prozent Wählerstimmen einen Sitz im Kabinett, und auch die Vizepräsidenten sollen nach Parteienproporz bestimmt werden. Die für den ANC als führende Organisation der Befreiungsbewegung prognostizierten über 60 Prozent der Wählerstimmen werden so auf zahreiche, vorab festgeklopfte Gegengewichte stoßen. Dazu gehört auch die wesentliche Rolle der neun Regionen, in die das Land aufgeteilt werden soll, mit eigenen Verfassungen und Finanzhoheit. Mit diesen Zugeständnissen ist vor allem die ANC-Führung wesentlich von ihren ursprünglichen Zielvorstellungen eines Einheitsstaates, in dem Mehrheitsverhältnisse klar zum Ausdruck kommen würden, abgerückt. Dazu kam es, nicht zuletzt auf Druck jener politischen Strömungen, die nach wie vor „Selbstbestimmungsrecht“ auf ethnischer Grundlage als Recht nicht von Personen, sondern von „Gruppen“ einfordern. Es ist dieser Grundsatzstreit, der weitere Zugeständnisse an die ethnischen Rechte kaum möglich erscheinen läßt. Zwar ist die „Freiheits-Allianz“ der schwarzen und weißen Gegner des Prinzips „Eine Person, eine Stimme“ auseinandergefallen. Die Herrscher der vom Apartheidsregime für unabhängig erklärten Homelands Bophuthatswana und Ciskei wurden durch den Druck von Massenbewegungen und das Auftreten von Polizei und Militär gezwungen, ihren Widerstand gegen die Wahlen und ihre Ansprüche auf die Fortexistenz ihrer Machtbereiche als separate politische Einheiten aufzugeben. Die burische Rechte spaltete sich in einen „gemäßigten“ Flügel unter Exgeneral Viljoen, der sich an den Wahlen beteiligen will, und ein Spektrum von Gruppen, die ihr Ziel eines weißen „Volksstaats“ mit anderen, vor allem gewaltsamen Mitteln durchsetzen wollen.

Das blamable Fiasko der burischen Rambos beim Versuch zur Rettung des Mangope-Regimes in Bophuthatswana Anfang März sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine ganze Reihe von nach den Apartheidsgesetzen gewählten Stadt- und Gemeindeverwaltungen in Transvaal und im Oranje-Freistaat bereits ihr jeweiliges Territorium zu einem Bestandteil des „Volksstaats“ proklamiert haben und, teils unter dem Schutz von Polizei und Armee, an der Trennung auch gegenüber den benachbarten schwarzen Townships festhalten. Doch die ernsteste Gefahr geht von jenen aus, die sich darauf berufen, das Volk der „Zulu“ zu repräsentieren. Diesen schwarzen Vertretern der Apartheidsprinzipien werden auch international und nicht zuletzt in der deutschsprachigen Publizistik nach wie vor Sympathien entgegengebracht, berufen sie sich doch auf ein so hehres Prinzip wie das der „Selbstbestimmung“.

Zulu-König Goodwill Zwelithini begründet seinen Anspruch auf Souveränität mit dem Verweis auf die großen Zulu-Könige des 19. Jahrhunderts. Mangosuthu Gatsha Buthelezi behauptet, seine Vorfahren seien deren Premierminister gewesen und genauso sei er selbst Chief Minister des von Pretoria geschaffenen Homelands KwaZulu. Buthelezi und mit ihm Zwelithini beharrten immer darauf, KwaZulu sei keine Kreation der Politik der „getrennten Entwicklung“ oder Apartheid. Vielmehr sei es identisch mit dem alten Zulu-Königreich. Die damit beanspruchte Tradition ruft Mythen militärischer Rituale der Zulu-Regimenter ebenso wach wie den hartnäckigen Widerstand, den das Zulu-Reich jahrzehntelang der burischen Expansion und der britischen Kolonisierung entgegengesetzt hat, bis hin zu dem freilich vergeblichen Sieg über die Briten bei Isandlwana 1879. Vor allem Buthelezi hat jahrzehntelang versucht, seinen Aufstieg zum Chief Minister und damit zum wichtigsten Architekten des bevölkerungsreichsten Homelands durch die Zulu-Tradition zu rechtfertigen. Zugleich nahm Buthelezi für die 1975 als Kulturvereinigung gegründete „Inkatha“ auch die Tradition der großen Führer des ANC in Anspruch, zumal soweit sie Zulu gewesen waren wie Albert Luthuli, ANC-Präsident während der Widerstandskampagne der 50er Jahre. Buthelezi verfolgte also eine Art Doppelstrategie, einerseits als effektiver Erfüllungsgehilfe des Apartheidregimes, andererseits mit dem verbalen Festhalten an den Zielen der Befreiungsbewegung. So weigerte er sich, KwaZulu in eine international geächtete „Unabhängigkeit“ von Pretorias Gnaden zu führen. Doch hinderte dies Buthelezi nicht, seine Machtstellung zielbewußt auszubauen, unter Ausnutzung der Ressourcen, die ihm offiziell im Rahmen der Homeland-Strukturen von Pretoria zugewiesen wurden, plus derjenigen Mittel, die ihm durch dunkle Kanäle vom Geheimdienst und Militär zuflossen. Nicht zuletzt ließ sich Buthelezis Inkatha auch vom Ausland unterstützen, wobei sich die Konrad- Adenauer- und die Hanns-Seidel- Stiftung hervortaten.

Inkatha diente während der 80er Jahre zunehmend dem Zweck, der Gleichung machtpolitisch Geltung zu verschaffen, auf der Buthelezis Strategie bis heute im wesentlichen beruht: KwaZulu ist der legitime Erbe des Zulu-Königreichs, dem jeder Zulu verpflichtet ist, und legitimer Zulu ist nur, wer als Mitglied Inkathas diesen Verpflichtungen nachkommt. Diesen Ansprüchen suchte Inkatha seit 1985 in KwaZulu und angrenzenden Townships mit brutaler Gewalt gegenüber ANC-Anhängern und anderen Dissidenten Geltung zu verschaffen. Diese Kampagne deutete bereits an, daß die Loyalität der Zulu, auf die Buthelezi sich immer berief, so monolithisch nicht war, wie er nach außen glauben machen wollte. Die Risse reichten bis hinauf in die Zulu-Königsfamilie, wo ANC- Sympathisanten immer wieder ins Exil gedrängt wurden. Buthelezi gelang es aber zugleich, das Bündnis mit König Zwelithini bis in die Gegenwart aufrechtzuerhalten. Die Methoden der Gewalt und des Terrors wurden seit Anfang 1991, als sich mit der Freilassung Nelson Mandelas das Ende des politischen Systems der Apartheid deutlich abzeichnete, auf das zentrale Industriegebiet am Witwatersrand ausgedehnt. Hier wurden Zulu- Wanderarbeiter, oft gewaltsam, als Inkatha-Schläger rekrutiert. Die Township-Kämpfe wurden und werden auf beiden Seiten mit erschreckender Brutalität geführt. Der Versuch, die neubenannte „Inkatha Freedom Party“ zu einer politischen Kraft auf nationaler Ebene zu machen, ist gescheitert. Damit sah sich die KwaZulu- Spitze auf ihre Machtbasis im Homeland zurückverwiesen.

Die vorläufigen Berichte der Goldstone-Kommission belegen die nachhaltige Unterstützung von Polizei und Militär für Inkatha, die bewußte Provozierung von Gewalt. Wichtiger noch: Die Township-Kämpfe entsprechen allenfalls vordergründig der im Blick auf „Afrika“ so eingängigen Sprachregelung von „Stammesfehden“. Es geht um gegensätzliche politische und gesellschaftliche Projekte. Die Gleichung Inkatha = Zulu stimmt nicht. Umfragen geben der Partei in ihrem Kernland, der Region KwaZulu/Natal, höchstens 35 Prozent der Stimmen. Deshalb kann Buthelezi auch den weitestgehend föderalen Rechten für die Regionen nichts abgewinnen: Nach einer fairen Wahl wird nicht er es sein, der diese Rechte in der Regierung wird nutzen können. – Deshalb halten Inkatha und Buthelezi am Grundprinzip der ethnischen Rechten in Südafrika fest: Sie fordern „Selbstbestimmung“ nicht für Personen, sondern für Ethnien. Diese völkische Ideologie wollen sie unter Einsatz eines formidablen Gewaltapparats rücksichtslos durchsetzen. Buthelezis „Befürchtungen“ über drohende Menschenopfer sind nur schlecht verhüllte Drohungen mit seiner wichtigsten politischen Waffe, der Fähigkeit zu mörderischer Gewalt und nachhaltiger Destabilisierung. Die KwaZulu-Polizei wurde zur Bürgerkriegsarmee aufgerüstet, die auch die „traditionellen“, als Zulu-Regimenter paradierenden Inkatha-Schlägertrupps vergleichsweise lächerlich erscheinen läßt. Bündnisse mit der bis an die Zähne bewaffneten burischen Rechten bestehen bereits auf regionaler und lokaler Ebene. Die Wirkung dieses Gewaltpotentials wird in den nächsten Wochen vor allem vom Verhalten der südafrikanischen Armee und Polizei abhängen. Hier wird der Verlauf der internationalen Vermittlungsbemühungen ebenso wie die Wachsamkeit der Weltöffentlichkeit von Bedeutung sein.

Eine Verschiebung der Wahlen wäre ein kaum erträgliches Zugeständnis an die ethnische Rechte, das die Hoffnungen der übergroßen Mehrheit der Südafrikanerinnen und Südafrikaner bitter enttäuschen würde – und schwerlich etwas anderes bewirken könnte als eine weitere Drehung der Schraube von Terror, Gewalt und Gegengewalt. Reinhart Kößler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen