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Archiv-Artikel

Süchtig nach Geschichten

Aus den Seiten auf die Bühnen gefallen: Das Schauspiel Hannover hat als erste Bühne Cornelia Funkes Kinderbuch „Tintenherz“ als Stück für Kinder ab acht Jahren herausgebracht

Von Kerstin Fritzsche

Der Intendant konnte das Buch nicht aus der Hand legen, und den anderen im Planungsteam für die neue Spielzeit gefiel, dass ein Mädchen im Mittelpunkt steht. Da ging es den Theatermachern in Hannover nicht anders als den vielen kleinen und großen LeserInnen, die Cornelia Funkes „Tintenherz“ auch schon beeindruckt hat. So bemühten sich die Hannoveraner bereits im Dezember letzten Jahres um die Aufführungsrechte. Jetzt war es so weit: Mit reichlich Medien- und Kinderrummel fielen Meggie, Mo, Staubfinger und die Bösewichte rund um den schrecklichen Capricorn nun endlich aus den Seiten auf die Bühne. Die Autorin wurde vor der Uraufführung der Bühnenfassung noch im Eingangsbereich des Theaters von Autogrammjägern und Interviews erbittenden Journalisten gleichermaßen bestürmt.

Mit der fantastischen Geschichte rund um Bücherliebhaberei und Angstbewältigung hatte Funke 2003 zeitgleich den deutschen und den englischsprachigen Buchmarkt für sich eingenommen. Dafür ward ihr der inoffizielle Titel „Die deutschen Rowling“ verliehen worden.

Damit sicherte sich „Tintenherz“ einen Platz im Olymp der Kinder- und Jugendbücher – neben Werken wie Astrid Lindgrens „Mio, mein Mio“, Michael Endes „Die unendliche Geschichte“ und eben Joanne Rowlings „Harry Potter“-Serie.

Aber nicht alle Kinderbücher halten auch Inszenierungsversuchen stand. Doch „verflixte Kiste!“, wie Meggies Tante Elinor zu sagen pflegt: Bei „Tintenherz“ ist die Reise vom Buch im Buch zum Buch im Theater gelungen.

Die Handlung wirkt in Hannover sinnvoll gestrafft, ohne dass dabei Spannung verloren geht. Das Bühnenbild ist weder zu bombastisch noch zu unaufdringlich. Die SchauspielerInnen sind weder zu stereotyp, noch fallen sie hinter den literarischen Vorbildern ab.

Grandios ist die Live-Musik, die Octavia Crummenerl geschrieben hat. Die Klänge drängen sich nur da auf, wo sie es müssen, ohne je mit dem Schauspiel zu konkurrieren.

Das alles hätte auch schief gehen können, wo Kinder doch so ein kritisches Publikum sind. Doch die strahlten bei der Premiere mit den Scheinwerfern der Fernsehkameras um die Wette. Und von Funke selbst stammten vermutlich die lautesten Lacher im Saal.

Regisseur Klaus Schumacher ist aber auch ein Experte. Seit 1995 war er Mitglied im Ensemble des Bremer Kinder- und Jugendtheaters MoKS und von 2000 bis zur vergangenen Spielzeit dessen Leiter, ehe er dieses Jahr ans Staatstheater Stuttgart wechselte. Die „Schumacher-Ästhetik“ gründet sich darauf, Jugendtheater und seine Themen frei von Schematisierungen als Erfahrungsaustausch zwischen Theaterleuten und Publikum zu verstehen und Typen mit hohem Identifikationsgehalt zu schaffen, ohne in den Aussagen moralisierend zu sein.

Genau das macht „Tintenherz“ auch zum Stück für Erwachsene. Denn, um Staubfingers Worte aus der Vorlage auszuführen: „Wir alle sind süchtig nach Geschichten und nicht nur von der eigenen will man das Ende kennen.“ Vor allem diese Buchweisheit scheint Schumacher für das Theater adaptiert zu haben.

Nächste Aufführungen: 31. Oktober (17 Uhr) sowie am 1. und 8. November, jeweils um 11 Uhr, und am 7.11. um 15 und 19 Uhr. Infos unter www.staatstheater-hannover.de