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Substituierte machen Druck

■ „Bald haben Dealer wieder mehr Arbeit“: 500 Menschen demonstrierten vor der AOK für die Fortsetzung des Methadon-Programms Von Patricia Faller

„Methadon-Stopp nein: Ihr spielt mit unserem Leben.“ Mit Transparenten und Plakaten demonstrierten gestern rund 500 Substituierte, DrogenarbeiterInnen und GewerkschafterInnen vor der AOK-Hauptverwaltung für die Fortsetzung des Hamburger Methadon-Programms, in dem derzeit rund 2500 Suchtkranke substituiert werden.

Junkies seien sonst nicht dazu zu bewegen, für ihre Rechte auf die Straße zu gehen, erklärt der Geschäftsführer der Drogenberatungsstelle „Palette“, Rainer Schmidt, aber „diesmal war es einfach“. Es geht um ihre Existenz: „Wir wollen nicht wieder in die Illegalität abgeschoben werden“, hatten VertreterInnen von Pola-Post, der Zeitschrift für Substituierte, auf ihr Plakat geschrieben. Andere mahnten: „Bald haben Dealer wieder Arbeit“.

In einer Resolution forderten sie, daß die Verhandlungen wieder aufgenommen werden, um die erfolgreiche Hamburger Methadon-Substitution unter Beteiligung der AOK und der IKK fortzusetzen. Sie sprachen sich gegen die Ausgrenzung von Suchtkranken aus der gesundheitlichen Versorgung aus. An die Hamburger Parteien, ÄrztInnen und Krankenkassen appellierten sie, auf Bundesebene auf Veränderungen hinzuwirken.

In vielen Wortbeiträgen von Betroffenen und Drogeneinrichtungen sowie der Landesstelle für Suchtgefahren wurde immer wieder betont, daß Methadon helfe, zu überleben und von Beschaffungskriminalität und Prostitution wegzukommen. Wieder einmal fange man aber bei den Schwächsten an zu sparen. Und das, obwohl eine Abstinenztherapie nach Aussagen von Experten mit einem nur fünfprozentigen Erfolg genauso viel koste wie ein ganzes Jahr Substitutionsbehandlung, mit der es bislang zehn Prozent der Behandelten gelang, aufs Heroin zu verzichten. Nach amerikanischen Erfahrungen steigt die Giftabstinenzquote nach sieben bis acht Jahren sogar auf über 75 Prozent. Statt den Drogenkranken durch Hilfsangebote den Ausstieg zu ermöglichen, überlasse man sie ihrer Krankheit und ihrem Elend.

Als die AOK-Geschäftsführerin, Karin Schwemin, erklärte, ihre Krankenkasse mache sich für die Fortsetzung des Programms stark, erntete sie nur Buh-Rufe. Das hielt sie aber nicht davon ab, die Demo-TeilnehmerInnen um Unterstützung für ihre Idee des „Methadon-Fonds“ für Substitution aus sozialen Gründen zu bitten. Sollten alle Gespräche erfolglos bleiben, läuft der Vertrag in 53 Tagen aus. Der Ärztekammerkommission, die entscheidet, wer substituiert wird, liegen bislang noch rund 200 Therapieanträge von Junkies vor. Sie hat Sondersitzungen angekündigt, um alle in das Programm aufnehmen zu können, bevor diese Frist abgelaufen ist. Ab dem 1. April werden – wie es jetzt aussieht – nur noch Halbtote neu in die Behandlung aufgenommen.

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