Stuttgart verliert gegen Nürnberg: Schockstarre im Schwabenstolz
Stuttgart lässt sich beim 1:4 vom 1. FC Nürnberg vorführen. Der Club erklärt den Abstiegskampf für beendet. Beim VfB ist das wenig originelle Vokabular der Verzweiflung zu vernehmen
Seit ein paar Wochen kursiert in Stuttgart ein böser Spruch. Wenn im Sommer das zur Fußballarena umgebaute Stadion offiziell eingeweiht wird, spielt nur noch ein Erstligist im neuen Schwabenstolz. Allerdings nicht auf dem Rasen. Die Rede ist von recht erfolgreichen Stuttgarter Volleyballerinnen, die von April an in die nagelneue Sporthalle unter der Untertürkheimer Tribüne einziehen werden. Über diese Vision lacht im Ländle seit Samstag kein VfB-Anhänger mehr. Mehr noch - man wehrt sich kaum noch gegen den Spott, nicht einmal die allertreuesten Fans.
Im Spiel gegen den 1. FC Nürnberg waren 51. Minuten vorbei, als Timothy Chandler, ein Mann, der erst seit Mitte Januar in Nürnbergs erster Mannschaft kickt, den VfB vollends blamierte. Er erzielte das 3:1 kurz nach der Pause. Der wenige Wind, den der VfB nach dem Anschlusstor zum 1:2 kurz vor der Halbzeit entfacht hatte, war schon längst wieder vorbei. Julian Schieber ließ am linken Strafraumeck Serdar Tasci derart locker und konsequent stehen, wie man es in Stuttgart sonst nur von Bahnhofsbefürwortern kennt, die S-21-Gegnern mit Unterschriftenlisten in der Fußgängerzone ausweichen. Chandler schloss Schiebers Vorarbeit locker ab.
Stuttgarts Getreuen auf der Untertürkheimer Tribüne fielen fortan wie die Mannschaft in eine Art Schockstarre. Ruhe im Rund, keine Aufmunterung der Fans, nicht mal Pfiffe (außer vom bekanntermaßen divenhaften Hauptribünenvolk gegen Serdar Tasci). Es war schon gespenstisch, wie nach dem 3:1 die Luft aus der Arena wich, in der vor Anpfiff noch aufmunternd AC/DC aus den Boxen röhrte, das einem fast der Gehörgang kollabierte.
VfB Stuttgart: Ulreich - Funk (46. Cacau), Tasci, Delpierre, Molinaro - Kuzmanovic, Elson - Träsch, Hajnal (72. Didavi), Harnik - Pogrebnjak (84. Schipplock)
1. FC Nürnberg: Schäfer - Judt, Wollscheid (69. Nilsson), Wolf, Pinola - Simons - Chandler (75. Mintal), Ekici, Cohen, Hegeler (84. Plattenhardt) - Schieber
Zuschauer: 38 000;
Tore: 0:1 Simons (11.), 0:2 Schieber (28.), 1:2 Funk (45.+2), 1:3 Chandler (51.), 1:4 Ekici (63.)
Aber von wegen "Thunderstruck". Schweigen im Rund, und hätten die Franken noch ein bisschen was für ihr Torverhältnis tun wollen, hätten sie es gekonnt. Locker. Gelegenheiten gab es reichlich. So blieb es nach einem Treffer von Mehmet Ekici beim 4:1, und in Stuttgart wird sich der Hauptsponsor überlegen, ob er noch einmal im Stadionheft mit dem Spruch "Nürnberger grillen kann jeder" werben will. Im Moment sieht es wohl eher so aus, als dass den VfB jeder abkochen kann, der beherzt gegen den Ball geht. Das reicht meist schon, um den verunsicherten Schwaben den Schneid abzukaufen. Das Team, das wurde klar, hat offenbar keine Ahnung, wie Abstiegskampf geht. Oder keine Lust darauf. Oder beides.
Am Ende war vor allem Julian Schieber das, was man im Süden eine arme Sau nennt. Der Stürmer ist vom VfB an Nürnberg ausgeliehen und wollte sich über sein Tor zum 2:0 und die Vorlage zum 3:1 kaum freuen, da er seinen Arbeitgeber wieder ein Stück naher an Liga zwei herangeschossen hat. Und damit auch sich selbst. "Julian spielt in der nächsten Saison definitiv bei uns", sagte VfB-Manager Fredi Bobic. Auch Nürnbergs Trainer Dieter Hecking hat wenig Hoffnung. "Wenn Stuttgart absteigt, sprechen wir den Spieler zumindest mal an, aber wenn er so weitermacht, ist er für uns sowieso nicht zu halten." Schieber selbst (6 Saisontore, 5 Vorlagen) sagte lieber nichts.
Schieber sprachlos, Stuttgart ratlos.Trainer Bruno Labbadia will "die Dinge ansprechen", er sagt, dass "die Mannschaft die Fehler ja nicht mit Absicht macht" und fordert, "dass man sich jetzt nicht hängen lassen darf". Das typische Vokabular der Verzweiflung. So merkwürdig es auch klingt, ein derart lebloses Spiel wie das des VfB löst gemeinhin eine Trainerdiskussion aus. Dummerweise ist Labbadia bereits der dritte Stuttgarter Übungsleiter in dieser Saison, somit verbietet sich dieses Thema von alleine. Dieter Hecking durfte dagegen strahlen und verkündete, dass sein Team den "Klassenerhalt heute wohl geschafft hat". Verkehrte Welt - der Club kämpft normalerweise bis zum Ende um die Klasse, der VfB kann nur noch auf ein Happy End auf den letzten Drücker hoffen. Maximal. "Das Team und das Umfeld kennen den Abstiegskampf nicht", warnt der Trainer aber schon mal vor der immensen Größe der Aufgabe, die nun bevorsteht.
Wohl wahr - das spürt man beim Spiel auf dem Rasen und bei der Reaktion der Fans. Am kommenden Donnerstag geht es in der Europa League zu Benfica Lissabon, am kommenden Sonntag nach Leverkusen. Vielleicht sollten sie vorher mal beim Volleyball vorbeischauen. Einfach so.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP