Stuttgart-21-Gutachten: Heikler Test für Stresstest
Kann man das so machen? Ein Planungsbüro für Eisenbahnsysteme hat den Stresstest für Stuttgart 21 überprüft. Die Frage ist, ob das Unternehmen wirklich unabhängig ist.
ZÜRICH taz | Es dürfte der heikelste Auftrag in der Firmengeschichte von SMA und Partner gewesen sein: Das Schweizer Planungsbüro für Eisenbahnsysteme hat den Stresstest überprüft, den die Deutsche Bahn für das Großprojekt Stuttgart 21 durchgeführt hat. Am Donnerstag will SMA das Gutachten sowohl der Deutschen Bahn-Spitze als auch den Bahnhofsgegnern übergeben.
Die zentrale Frage war dabei, ob der Durchgangsbahnhof die Leistung des Kopfbahnhofs in der Spitzenstunde um 30 Prozent steigern kann. Die Leistungsfähigkeit ist eines der entscheidenden Kriterien, ob der Bahnhof gebaut wird oder nicht. Die Bahn hat bereits durchsickern lassen, sie sei davon überzeugt, den Test zu bestehen. Gegner des Bauprojekts hingegen erhoffen sich den Beweis für die Sinnlosigkeit des geplanten unterirdischen Durchgangsbahnhofs. Von der Einschätzung der Experten hängt also einiges ab.
Bei SMA ist man sich dieser Tragweite bewusst. Deshalb gibt die Firma bis zur Veröffentlichung des Gutachtens keinerlei Auskünfte. Gegner und Befürworter von Stuttgart 21 haben sich gemeinsam für SMA als unabhängige Prüfinstanz entschieden. Ausschlaggebend war dabei die Erfahrung der Firma. Es gibt kaum ein Unternehmen, das europaweit derart viele Großprojekte im Schienenverkehr geplant und überarbeitet hat, sowohl für private als auch für staatliche Auftraggeber. Nach eigenen Angaben beschäftigt die Firma rund 50 Ingenieure, Informatiker und Verkehrsplaner.
Auch die Deutsche Bahn ist für SMA ein wichtiger Auftraggeber. 2008 und 2009 hatte das Planungsbüro die Fahrpläne überarbeitet, das Jahr zuvor die Verdoppelung der Güterzüge aus den deutschen Nordseehäfen geplant. Seit 1993 erarbeitet SMA sämtliche Fahrpläne des Fernverkehrs der Deutschen Bahn. Außerdem berät SMA das deutsche Unternehmen in IT-Fragen. Kann SMA es sich da leisten, den Auftraggeber zu vergraulen, indem sie den Stresstest als unzureichend kritisiert?
Unabhängig - im Vergleich zur Konkurrenz
Nicht nur SMA möchte zurzeit keine Stellung nehmen. Auch viele Verkehrswissenschaftler wollen sich derzeit nicht zum Stresstest äußern. Dirk Bruckmann, der an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich im Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme arbeitet, ist einer der Wenigen, der sich äußert. Im Vergleich zur Konkurrenz hält er das Planungsbüro SMA für unabhängig und traut ihm grundsätzlich ein neutrales Urteil zu.
Werner Wölfle, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Stuttgarter Landtag und Gegner von Stuttgart 21, hat sich selbst für SMA starkgemacht. Er befürchtet zwar, dass dieser Auftrag für die Firma unbekannte Dimensionen annehmen könnte, er hält es aber für normal, dass Beratungsfirmen von ihren Auftraggebern in gewisser Weise abhängig seien: "Ich gehe davon aus, dass SMA die Schwachstellen benennen wird."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen