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Archiv-Artikel

Stumpf und fern

Eine Entfremdung: Hans-Peter Geerdes, auch bekannt als H. P. Baxxter/Scooter, liest Prosa von Thomas Bernhard

Thomas Bernhard: „Jahrzehntelang spielte ich gegen den Stumpfsinn das Cello“

Der Boom der Hörbücher und seine Folgen: Jetzt dürfen alle mal ran. Sogar Raver. In der ersten Folge der neuen Hörbuch-Reihe „Reading Stars“ liest Hans-Peter Geerdes Auszüge aus der frühen Prosa Thomas Bernhards – unter anderen „Die Cellistin“ und „Viktor Halbnarr“, außerdem die Büchner-Preis-Rede von 1970. Das ist mutig. Denn Geerdes ist besser bekannt als H. P. Baxxter und Sänger des Techno-Trios Scooter, das 1994 den Megahit „Hyper! Hyper!“ hatte. Zwar rechtfertigt Erfolg in Deutschland zumeist die Mittel – ein Thema, das auch Bernhard in seinem Blick auf die österreichische Nachkriegsgesellschaft nachhaltig beschäftigte –, doch spielen Scooter Techno von einem Stern, dessen Bewohner taub, blind und doch wie Untote immer wach zu sein scheinen.

Zuletzt inszenierten sich Scooter mit „Jigga Jigga“ bei der Vorentscheidung zum Grand Prix Eurovision als die Auslöschung der deutschen Musikgeschichte. Sie zu sehen bedeutete, das Nichts zu sehen – oder das Grauen, so wie es Mr. Kurtz in Joseph Conrads „Das Herz der Finsternis“ im tiefsten Kongo gesehen hat. Das Nichts (oder das Grauen) wiederum ist in Deutschland seit „Hyper! Hyper!“ der kollektive Wunsch, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen, zu finden und zu feiern.

H. P. Baxxter hat für sein erstes Hörbuch weit zurückgeblättert. Als Baxxter noch Geerdes hieß und in Hannover Germanistik studierte, schrieb er eine Magisterarbeit mit dem Titel „Vor dem Ruhestand und Der Theatermacher – Studien zu Theaterstücken Thomas Bernhards“. Wir erfahren von diesem bislang verschwiegenen Karriere-Zwischenhoch aus den Liner Notes zur „Reading Stars“-CD, in welchen Baxxter zudem bekennt: „Ich selbst erinnere mich an besonders launige Abende im Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg oder in den Hamburger Kammerspielen.“ Man möchte Baxxter mit Thomas Bernhards berühmtem Ausspruch „Jahrzehntelang spielte ich gegen den Stumpfsinn das Cello“ begegnen. Stattdessen spricht der Sänger.

Die Begeisterung Baxxters für Bernhard scheint dabei nicht einmal gespielt, mitunter sogar echt gefühlt – auch wenn sein Bekenntnis, „(Unser) beider Kunstansatz ist zeitlos, radikal, umstritten und natürlich furchbar komisch“, wie der hilflos-fraternisierende Versuch wirkt, jahrelanges Belächeltwerden in das bekannte Drama vom missverstandenen Genie umzudeuten.

Tatsächlich verführt die ganze Inszenierung dieses Projekts mitsamt dem peinlichen Liner Notes und dem noch dämlicheren Coverfoto, jetzt erst recht gegen den Stumpfsinn anzuschreiben. Denn der verständliche und physisch spürbare Wunsch Baxxters, Deutschland zu beweisen, dass mehr in ihm steckt als der wasserstoffblondierte Übermensch, wird durch die unverhoffte Veröffentlichung dieses Hörbuchs zur Utopie.

Denn tragikomisch wird die ganze Angelegenheit spätestens mit dem tatsächlichen Abspielen des Tonträgers: Nach einer kurzen Ansprache („Hi Loite, hier spricht Eitsch Pi Bäxta, richtich: Eitsch Pi von Skuuta“), beginnt der 1966 in Leer geborene Nordfriese mit dem Akt des Vorlesens. Der Sänger spricht im breitesten norddeutschen Akzent, sein Vortrag strahlt eine geradezu weltfremde Selbsteingenommenheit aus, der ganze Auftritt ist nicht unähnlich dem Dieter Bohlens, als dieser seine Autobiografie „Nichts als die Wahrheit“ auf vier CDs in mindestens ebenso schönem Hamburgisch verlas. Doch sosehr sich Bohlen und Baxxter in ihrer polarisierenden Außenwirkung ähneln, so unterschiedlich wirken die beiden als Protagonisten ihrer eigenen Hörbücher: Wird Dieter nach mehr als vier Stunden zum Kumpel, entfremden wir uns mit jeder Minute von H. P. MAX DAX

H. P. Baxxter liest Thomas Bernhard. Read Inc/Eichborn, Zürich 2004. 1 CD, 15,95 €