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Stummfilm "Metropolis" live

■ Die Gruppe "Trioglyzerin" begleitete im Modernes den Stummfilmklassiker

Die alte Magie wirkt immer noch: Fritz Langs monumentaler Science-Fiction Film füllt wieder die Kinosäle – und daß, nachdem Giorgio Moroder vor zehn Jahren mit einem albernen Discosoundtrack das Meisterwerk scheinbar entgültig vandalisiert hatte. Aber inzwischen wirkt seine „fantastische Rock – Vision“ mit dem Gesang von Bonnie Tyler und Freddie Mercury längst viel antiquierter als der 69 Jahre alte Stummfilm selbst – und im fast ausverkauften Modernes konnte man ihn am Karfreitag mit einer auf Piano, Cello, oboe und Synthesizer live gespielten Musik genießen, die dem Werk tatsächlich gerecht wurde.

Die drei Musiker der Gruppe „Trioglyzerin“ haben sich auf die Begleitung von Stummfilmen spezialisiert – unter den vier weiteren Klassikern in ihrem Programm sind auch „Nosferatu“ und „Das Cabinet des Dr. Caligari“ – und man merkt es ihrer Musik an, wie vertraut sie mit dem Film sind. Das lautmalerische Donnern, Zischen und die plötzlichen Stimmungswechsel kamen eben nicht die halbe Schrecksekunde zu spät, die auch geübte Stummfilmbegleiter kaum vermeiden können, wenn sie immernoch auf die Leinwand schauen müßen, um das Timing zu halten. Diesen drei Musikern war der Rhythmus der Filmkopie offensichtlich so vertraut, daß sie sogar ihre Unebenheiten geschickt kaschieren konnten, den seltsamerweise wurde hier eine recht holprige (und billige) Fassung des Films gezeigt, die 75 in der DDR zusammengesetzt wurde – komplett mit einem Vorspann, der auf die „kapitalistische Vermarktungsgeschichte“ hinweist und ausgerechnet englischen Untertiteln.

Die selbstkomponierte Musik des Trios war konsequent modern, nie wurde versucht, die gängigen Stilformen der 20er Jahre nachzuempfinden. Stattdessen gab es viel Maschinengestampfe zu den Bildern vom Moloch Maschine und schwebende Syntezisersounds bei den Trickaufnahmen von der „schönen, neuen Welt“ der Oberfläche.

Nach einigen Minuten Eingewöhnungszeit bemerkte man die drei Musiker links und rechts neben der Leinwand kaum noch – sie spielten sich nicht in den Vordergrund und waren klug genug, nicht unnötig vom Film abzulenken; etwa durch zu eigenständige Kompositionen oder virtuose Soli. Man hatte immer das Gefühl, daß sie dem Film dienen würden – sie verkniffen sich sogar jedliche Ironie bei den Szenen, die heute unfreiwillig komisch erscheinen. Das Publikum lachte etwa lauthals über Gustav Fröhlichs allzu melodramatischen Verrenkungen, aber die Musik blieb ganz ernsthaft – und dadurch wirkte der jugendliche Held in seinen Knickerbockern noch idiotischer.

So sparsam und minimalistisch die Instrumente der Musiker auf der Bühne auch aussahen – auf den Keyboards, dem Kunststoffchello und den zwei Blasinstrumenten stand ihnen eine verblüffend vielseitige Klangpalette zur Verfügung. Es gab Orgelklänge in der Kirche in den Katakomben, gruselige Dissonanzen bei der Verfolgungsjagd, eine Kakophonie aus Sirenengeheul und immer lauter werdendes Geschepper bei den apokalyptischen Szenen und ein romantisches Leitmotiv für das Liebespaar. Film und Ton waren hier zu einer Einheit verschmolzen, und dadurch, daß die Musik direkt vor den Augen des Publikums erzeugt wurde, bekam die Vorführung eine Aura, die auch den Film neu verjüngte und belebte.

Wilfried Hippen

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