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■ Stürzt Kanzleramtsminister Schmidbauer (CDU) über die Plutoniumaffäre? Eine Aktennotiz belegt endgültig, daß sein BND im August 1994 den Schmuggel von 363 Gramm Plutonium selbst inszeniert hatDa strahlt der BND

Stürzt Kanzleramtsminister Schmidbauer (CDU) über die Plutoniumaffäre? Eine Aktennotiz belegt endgültig, daß sein BND im August 1994 den Schmuggel von 363 Gramm Plutonium selbst inszeniert hat

Da strahlt der BND

Das war das Eigentor des Monats: Einträchtig hatten sich BND und Geheimdienstkoordinator Schmidbauer bis Dienstag nachmittag abgestimmt, wie auf BND- Agent 77188 „Lolita“ alias „Rafa“ zu reagieren sei, hatte der sich doch erdreistet, die deutschen Dunkelmänner bloßzustellen. Vor dem Plutoniumuntersuchungsausschuß des Bundestags hatte der 42jährige Spanier vergangene Woche freimütig geplaudert, was der BND unter den Teppich kehren möchte.

Als am 10. August 1994 363 Gramm strahlendes Plutonium (siehe Chronik) per Lufthansa nach München einschwebten, standen das bayrische Landeskriminalamt, Staatsanwaltschaft und BND auf dem Flughafen längst abfangbereit. Kein Wunder. Rafa hatte die Ladung auftragsgemäß auf diesem Weg geordert und acht bis zehn Tage vorher festgelegt. Der Partner auf Rafas Seite: der BND. Hohe Prämien wurden ihm für seine „Arbeit“ versprochen, doch der BND hielt seine Zusagen nicht ein. Deshalb wurde Rafa sauer und packte letzte Woche aus.

Rafa verriet, daß seine BND- Partner auch darüber sprachen: Für einen politischen Erfolg vor den Bundestagswahlen würde der Fahndungserfolg dringend gebraucht. Noch im Mai in München vor Gericht traute er sich nicht, die Dinge beim Namen zu nennen. Damals habe ihn der BND zu Falschaussagen genötigt und seine Familie bedroht. Er sollte verschweigen, daß er wußte, auf welch riskantem Weg das Plutonium transportiert wurde und welche Rolle der BND dabei spielte.

Durchaus glaubwürdig schob er nun den BND ins Rampenlicht der Affäre zurück. Der Dienst dementierte erst am Dienstag. Klagen werde man gegen Rafa, weder habe man ihn noch seine Familie bedroht. Und natürlich habe man den Plutoniumschmuggel keineswegs inszeniert. Auch Staatsminister Schmidbauer reagierte giftig: „Völlig neben der Sache“ würden die Kritiker mit ihren „billigen Angriffen“ argumentieren. Zur Sache aber sagte er lediglich, daß „die Mitarbeiter des BND es nicht verdienen, ständig verunsichert und diffamiert zu werden“.

Dienstag abend aber war das „Dementi“ Schmidbauers schon wieder Makulatur. Die Süddeutsche Zeitung zitierte Belege aus Aktennotizen, die Rafas Aussage stützen. Ins Zwielicht rückt den BND vor allem ein verräterischer Aktenvermerk von „Dr. Auer“ aus dem Referat 431 des Auswärtigen Amts, geschrieben fünf Tage vor der Bundestagswahl 1994. Auf diesen Vermerk hatte der Spiegel schon Ende November aufmerksam gemacht. Darin wird explizit zugegeben, daß „unsere Dienste“ den Plutoniumschmuggel nicht nur aufgedeckt, sondern „weitgehend herbeigeführt“ haben (siehe Kasten).

Das Auswärtige Amt weigerte sich gestern, das Papier zu kommentieren, das „die Bekämpfung des Nuklearschmuggels“ thematisiert. Sein Verfasser Dr. Auer ist seit 27. November vor den Untersuchungsausschuß geladen. „Der Markt besteht anscheinend nur aus kriminellen Geschäftemachern auf der Angebotsseite“, heißt es in dem Papier weiter. Unter diese Kriminellen hatte sich mittels V-Mann Rafa nun der BND gemischt und den lebensgefährdenden Deal organisieren lassen. Für den Grünen Manfred Such ist das „ein Fall von organisiertem Verbrechen“.

Die jetzt bekanntgewordenen Aktenvermerke machen aber noch mehr deutlich. So war laut BND-Akten Rafa am 5. 9. 94 mitgeteilt worden, „daß die endgültige Höhe seiner Prämie auf politischer Ebene entschieden wird“. Am 21.9. 94 schlägt der BND-Abteilungsleiter Matthias Hochfeld vor, Rafa mitzuteilen, daß der Dienst „keinerlei Einflußmöglichkeit“ auf die Prämie hat und im Wahlkampf „ein eventuelles Bekanntwerden einer Prämienzahlung schädliche Auswirkungen auf Bundesregierung, Bundesnachrichtendienst“ haben könnte.

Auch die bayrischen Behörden hätten laut BND-Akten vom 4.10. 94 geplant, für Rafa eine Belohnung in Höhe von etwa weiteren 100.000 Mark zu beantragen. Die sei jedoch problematisch, da „dieser Antrag wegen der Höhe durch mehrere Instanzen außerhalb des LKA gehen muß“. Rafa hatte vor dem Ausschuß ausgesagt, daß ihm ein Mitarbeiter aus dem Bundeskanzleramt, den er sogar für einen Minister hielt, noch im Juni dieses Jahres bestätigte, daß alles seinen Gang gehe und er sich nicht beunruhigen solle.

Während seiner Vernehmung in Bonn wurde Rafa mehrfach darauf angesprochen, warum der Plutonium-Deal statt nach Berlin nach München dirigiert wurde. Das wäre der Wunsch des BND gewesen, sagte Rafa. Auch in Bayern waren ja Landtagswahlen und ein Fahndungserfolg wünschenswert.

Offen ist, wie nun weiter im Plutoniumausschuß verfahren wird. Die SPD hatte nach Rafas Vernehmung umgehend eine Sondersitzung beantragt. Schmidbauer hat daraufhin zwar großspurig angekündigt, „jederzeit“ vor dem Gremium aussagebereit zu sein, aber nur zu einem Zeitpunkt, den die Mehrheit des Ausschusses will. Und die will nicht. Zwar hatte zunächst sogar der CSU-Vorsitzende Gerhard Friedrich das Anliegen als „sinnvoll“ unterstützt, wurde aber laut SPD-Fraktionsgeschäftsführer Peter Struck wieder zurückgepfiffen – und zwar vom Kanzleramt. Die Union wolle den Ausschuß ins Leere laufen lassen, beklagen SPD-Mann Struck und Such von den Grünen.

Während für SPD und Grüne die politisch Verantwortlichen nun dringend als Zeugen zu vernehmen sind, schiebt die CDU zweitrangige Nuklearfachleute vor, um die Luft aus dem Skandal zu nehmen. Bis zum nächsten Wahltermin im Frühjahr soll auch Kronzeuge Rafa unglaubwürdig gemacht werden. Die russische Mafia habe ihn zu seinen Aussagen erpreßt, werden bereits Gerüchte gestreut. Holger Kulick, Bonn

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