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■ Stückemarkt„Wondreber Totentanz“ von Werner Fritsch

Neue Stücke, das ist bekannt, brauchen das Theater, um zu leben. Doch braucht das Theater neue Stücke? Wer nach Berlin geladen werden will, erreicht das am ehesten mit einem schrägen „Woyzeck“ oder einer scharfen „Hedda“. Neue Texte indes müssen den Bühnen erst schmackhaft gemacht werden. Beim Theatertreffen dient dazu der Stückemarkt. Diesmal harren ihrer Entdeckung: Albert Ostermeier mit „Zwischen den Feuern“, Matthias Zschokke und „Der Reiche Freund“, Thomas Jonigk mit „Rottweiler“, Gundi Ellerts „Jagdzeit“ und Werner Fritschs „Wondreber Totentanz“.

Dieses Stück ist das, was man gerne als Herausforderung lobt und in der Schublade verschwinden läßt. Eine echte Aufgabe für belesene Dramaturgen, kühne Regisseure und exzellente Sprecher; die Spieler hingegen werden wenig Freude daran haben. Werner Fritsch inszeniert das Geschehen nämlich wie in der „antiken Tragödie in der Sprache, also im Kopf des Zuschauers“, weil er glaubt, „daß im Zeitalter des schamlosen, phantasietötenden Alleszeigens in Film und Fernsehen dies dem Theater gut ansteht“. Womit er vielleicht recht haben könnte: Statt alles zeigen mal alles sagen oder vielleicht alles denken. Dem Drama wird deswegen das Dramatische ausgetrieben. Ein bißchen wie bei Jannis Ritsos oder Heiner Müller oder Oskar Kokoschka. Das Geschehen formt keine Geschichte, die wie ein Fluß von Anfang zum Ende fließt, sondern erinnert eher an ein Meer. Bald ruhend, bald Wellen schlagend. Unüberschaubar. Man ersäuft in Worten und Metaphern. Immerhin, der Ort des Geschehens – das „Innere einer Kirche“ – steht fest. Ausgehend von der Totenmesse für Isidor, entfaltet Werner Fritsch in kurzen Episoden dessen Leben. Szenen der Kindheit, der Kommunion, der Liebe und immer wieder Varianten des Sterbens. Diese unordentlichen Erinnerungen werden jedoch häufig gebrochen, kommentiert. Vor allem von Chören. Dem der Trauergemeinde, der vom Blitz Erschlagenen, der Aschenfiguren – dem Chor der Krokodilsstimmen. Es sind die Toten, denen Werner Fritsch hier eine Sprache gibt. Deren Geschichte er erforscht, nachdichtet. Naturpoesie, rhythmisch verknüpft mit religiöser Symbolik. Von der Liturgie des Mittelalters eilt der Autor in die Zeit von Nazideutschland und wieder zurück in die Welt ägyptischer Todesrituale. Werner Fritsch versucht ein großes Bild vom Untergang einer ganzen „Lebenswelt“ zu malen. Isidors Weg als unser Weg, eingebunden in den Kreislauf der Natur. Leben, Sterben, Wiederauferstehen. Der „Wondreber Totentanz“ als Existenzphilosophie. Oder Poesie. Ein schönes Stück ... Arbeit für das Theater.

Dirk Nümann

Die Lesung findet am 8. 5. um 16 Uhr im DT-Foyer statt.

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