: Studium - eine Geldfrage?
„Erst kürzt man uns das BAFöG, und wir müssen nebenher arbeiten. Und wenn wir dann wegen der vielen Nebenjobs länger studieren, müssen wir auch noch ein Strafgeld bezahlen.“ So heißt es immer wieder auf den Flugblättern der protestierenden niedersächsischen Studenten. Dieses Argument gegen die Einführung von Studiengebühren für die sogenannten Langzeitstudenten leuchtet auch der SPD ein. Der sozialdemokratische Bildungsexperte im niedersächsischen Landtag, Rolf Wernstedt, sieht in den Vorstellungen der Landesregierung eine neue soziale Schranke: Die Reichen können es sich leisten, pro Semester 500 bis 1.000 Mark abzutreten, während weniger privilegierte Studenten die Universitäten verlassen müssen. Unterstützung findet die Argumentation der Studenten in der jüngsten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes, die Anfang des Jahres veröffentlich wurde. Danach hat innerhalb von drei Jahren die Quote der nach BAföG geförderten Studenten von 37 auf 27 Prozent abgenommen, wobei nur noch 10 Studierenden, die nebenher arbeiten müssen, von 50 auf 55 Während sich der Anteil vor allem der Studentinnen aus einfachen sozialen Verhältnissen in den drei Jahren verringerte, stieg der Anteil der Studenten „aus der höchsten sozialen Herkunfstgruppe um vier Prozentpunkte“ an. Die Konsequenz allerdings, die der neue Bildungsminister Jürgen Möllemann aus dieser BAföG– Misere ziehen will, könnte auch bundesweit den Studentenprotest noch einmal anheizen. Für die VDS, in der allerdings noch dem MSB–Spartakus nahestehende ASten vertreten sind, steht schon jetzt fest, daß der Bundesbildungsminister das BAföG in seiner jetzigen Form gänzlich abschaffen will. In der Tat liegen im Bildungsministerium noch von Frau Wilms in Auftrag gegebene Planungen auf dem Tisch, wonach neben dem BAföG ein zweites Förderungmodell installiert werden soll, das allerdings den Titel „Stipendium“ kaum mehr verdient: Dieser Entwurf des „Berichts der Bundesregierung zur Ausbildungsfinanzierung in Familien mit mittlerem Einkommen“ sieht drei Modelle vor, nach denen die Ausbildungskosten von den Studierenden oder deren Eltern zu tragen sind: Das erste Modell ist eine „Förderung“ über einen ganz simplen Bankkredit, den der Student aufnimmt und für den der Staat lediglich bei der Bank bürgt; allenfalls wird der Zins geringfügig verbilligt. Bei den anderen beiden Modellen sollen die Eltern analog zum Bausparen frühzeitig mit einem Bildungssparen für das spätere Studium ihrer Kinder beginnen und erhalten dafür eine gewisse Sparförderung. Dabei denkt man auch an ein Ansparen durch Verzicht auf das Kindergeld. Die oft geforderte Anhebung der Freibeträge, um den Kreis der BAföG–Empfänger endlich erweitern zu können, wird in dem Papier explizit aus „ordnungspolitischen Gründen“ abgelehnt. Bei einem solchen Ansatz würde zwangsläufig die zweite Form der „Förderung“ zur Regel, da mit steigenden Lebenshaltungskosten immer mehr Studenten nicht mehr unter die alte BAföG–Regelung fielen. Der neue Bundesbildungsminister will aber offenbar jetzt noch weiter gehen als es seine Vorgängerin geplant hatte. Mit der Begründung, in den Bonner Koalitionsvereinbarungen sei im Januar festgelegt worden, bis 1990 keine weiteren Leistungsgesetze zu verabschieden, hat Möllemann die Veröffentlichung des zitierten Berichts erst einmal um einem Monat auf Ende Juni verschoben. Gleichzeitig hat er den Präsidenten des BAföG–Beirats seines Ministeriums, Professor Dahms, beauftragt, „das Ausbildungsförderungsgesetz insgesamt auf seine Funktionsfähigkeit zu überprüfen“. In ungefähr eineienhalb Jahren, so sagte der Sprecher des Bundesbildungsministeriums auf Anfrage, solle eine grundsätzliche Neuregelung der „Förderung“ in Kraft treten, und er bestätigte auch, daß mit den vorliegenden Spar– und Kreditmodellen bei der dann fälligen Abschaffung der bisherigen Förderung „eine große Rolle spielen“ werden. Die niedersächsischen Studenten drücken allerdings die Schulden nach dem jetzt gültigen BAföG–System bereits genug. „Nur die Elite braucht keine Kredite“ lautet die Aufschrift eines in diesen Tagen vielgetragenen Aufklebers. „Albrecht geht uns an die Wäsche“ war das Motto einer Aktion gegen studentische Armut und Studiengebühren, bei der einige hundert Studenten des Fachbereichs Erziehungswissenschaften vor dem Leineschloß sich sogar eines Teils ihrer Kleidung entledigten. Als Wissenschaftsminister Horst–Tönjes Cassens sich im Landtag zur finanziellen Situation der Studierenden äußern mußte, kam ihm nicht einmal ein Wort des Verständnisses für die materiellen Nöte der Studenten über die Lippen. Fahrig und dabei so leise, daß er kaum noch zu verstehen war, las Cassens seinen Text vor, wonach das Land Fortschritte beim Wohnheim– und Mensabau erzielt hat, es eine relativ hohe Zufriedenheit mit dem Studium gäbe und die Arbeitslosigkeit bei Akademikern mit einer Quote von fünf Prozent immer noch entschieden niedriger sei als zum Beispiel bei den ungelernten Arbeitern mit 19 Trotz aller Kritik an Cassens auch aus der CDU/FDP–Koalition - Ernst Albrecht kann diesen Minister nicht entlassen, bevor er für ihn einen Ersatzposten gefunden hat. Für seine Ein–Mann–Mehrheit im Landtag braucht er auch die Stimme des ungeliebten Wissenschaftsministers.
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