piwik no script img

Studie zu Berliner LebensgefühlSei arm, sei happy, sei Berlin

Die Berliner fühlen sich wohl in ihrer Stadt. Das ergibt eine Studie der Hertie-Stiftung. Nicht einmal die Armut trübt das Feelgood zwischen Kreuzberg und Prenzlauer Berg.

Die sieben Lebenswelten Berlins Bild: Hertie Stiftung

Sieben Lebenwelten in Berlin

Im Oktober lag Berlin mal wieder vorn. 13 Prozent Arbeitslose hatte die Stadt - mehr als alle anderen Bundesländer. Einen Monat zuvor hatte die Initiative Neue Marktwirtschaft die Wirtschaftskraft von 50 deutschen Großstädten verglichen. Berlin landete auf dem letzten Platz. Da stellt sich fast schon die Frage, warum überhaupt noch jemand in Berlin leben will. Eine deutliche Antwort darauf bietet nun eine Studie der Hertie-Stiftung: Die Berliner fühlen sich einfach wohl in ihrer Stadt. Trotz - vielleicht sogar wegen - der schwachen Wirtschaftslage.

Anders als bei den üblichen Stadtrankings wurden für die "Hertie-Berlin Studie" nicht die üblichen Strukturdaten ausgewertet. Stattdessen wurde ein repräsentativer Querschnitt von 2.000 Berlinern nach seinem Lebensgefühl in der Stadt gefragt. Die Ergebnisse sprechen für sich.

Zwar ist den Berlinern die soziale Lage der Stadt bewusst. Arbeitslosigkeit, steigende Preise sowie zunehmende Not und Armut werden als große Probleme Berlins gesehen. Dennoch geben 85 Prozent der Befragten an, dass sie gern oder sogar sehr gern hier leben. 70 Prozent würden Berlin als Wohnort weiterempfehlen.

"Zu unserer Überraschung sind die Berliner in überwältigenden Ausmaß subjektiv zufrieden", sagte der Soziologe Klaus Hurrelmann bei der Vorstellung der Forschungsergebnisse am Dienstag. Das Bild der Berliner von ihrer Stadt sei überragend positiv. 94 Prozent halten sie für international, 93 Prozent für interessant, 92 Prozent für weltoffen. Als wohlhabend bezeichnet nur jeder fünfte Berliner die Stadt. Doch das macht offenbar wenig. Der typische Bewohner "kommt immer wieder über die Runden" und "versteht es, sich zu amüsieren", sagen über 80 Prozent der Befragten.

Zufrieden zeigen sich selbst die Berliner mit Migrationshintergrund. Die hätten sich einigermaßen eingefunden, sodass mögliche Spannungen abgetragen wurden, meinte Hurrelmann. Zwar sei die wirtschaftliche Lage der Zuwanderer objektiv schlechter, sie werde jedoch nicht als auswegslos empfunden.

"Eigentlich müssten sich die Menschen die Schädel einschlagen, wenn sie so dicht aufeinander wohnen", meinte Hurrelmann, der sich als Leiter der Shell-Jugend-Studie einen Namen gemacht hat. Doch in Berlin gebe es Platz, sodass verschiedene Kulturen und Szenen in den Kiezen nebeneinander leben könnten.

Das führe keineswegs zu Parallelgesellschaften, sondern zu durchlässigen Lebenswelten, ergänzte Michael Zürn, Mitautor der Studie und Dekan der Berliner Hertie School of Governance. Denn anders als es ein gängiges Klischee besagt, fühlen sich die Berliner zwar in ihren Kiezen zu Hause. "Aber man bewegt sich eben nicht nur dort", betonte Zürn. Zwar sei die Separierung der Stadt mit bloßem Auge zu sehen. "Diese Vielfalt wird aber als Gewinn gesehen". Erst das Ensemble etablierter Kieze und Szenen ermögliche das Aushalten der Disparitäten.

Allerdings ist das ein fragiles Gleichgewicht. Laut Studie gelten 15 Prozent der Berliner als "resigniert". Sie sind unzufrieden und erwarten auch in fünf Jahren keine Verbesserung ihrer Lage. Eine große Herausforderung sei es daher, die Tendenz zur weiteren Auseinanderentwicklung zu bewältigen, so Zürn.

Doch ausgerechnet ein Aufschwung könnte das Berlin-Feeling zerstören - zumindest bei einem Teil der Bevölkerung. Wer sich auf niedrigem Niveau eingerichtet habe, könne durch steigende Lebenshaltungskosten und den damit einhergehenden Druck verunsichert werden, meint Hurrelmann - schon weil es einen Hang zur Trägheit gebe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • PK
    Peter Kessen

    Es läßt sich nur noch als atemberaubend bezeichnend, wie sich die einstmalige auch vorhandene Radikalität der Taz in ein stupides rasendes Mitläufertum verwandelt! Hier wird die Propaganda einer Stiftung des Großkapitals stumpf wiedergegeben, ohne jeden Bezug auf deren Zwecke, ohne Kritik am Forschungsdesign der Studie! Ekelhafte Ausdrücke wie "Kreativgebiete" werden problemlos benutzt? Warum gibt es die Taz eigentlich noch? Um Karrieren wie von Robin Alexander zu ermöglichen?

  • U
    Udo

    Schön, dass die Herti-Stiftung ihre Klischees und Stereotypen durch die suggestive Befragung von 2000 Berlinern bestätigt hat. Von "repräsentativ" kann man natürlich nicht reden, da dazu zu wenige Berliner befragt wurden, die Fragen zu oberflächlig und zu suggestiv gestellt wurden und viele Berliner Lebenswelten gar nicht erst erfragt wurden. So wurden Kinder unter 14 Jahre genauso nicht befragt, psychische oder religiöse Aspekte wurden nicht mit einbezogen. Wie gesagt, ein schönes Stimmungsbild, schön, dass mal wieder Klischees bedient wurden!